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Der Zweite Messias

Titel: Der Zweite Messias Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glenn Meade
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vollbusige Frau mittleren Alters mit blondem Haar, das sie hochgesteckt trug. Sie warf noch ein Holzscheit in den Ofen in der Küche und wischte sich die Hände an der Schürze ab.
    Jetzt geht alles dem Ende zu , ging es ihr durch den Kopf.
    Sie wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel, ehe sie sich eine frisch gebrühte Tasse Kaffee eingoss und sich fröstelnd vor den Ofen setzte, denn ihr Haus verfiel, und in den Zimmern war es zugig. Da es keine Heizung gab, war es hier um sechs Uhr morgens so kalt wie im Winter. Doch Anna beklagte sich nicht. Sie hatte siebzehn Jahre lang glücklich in diesem Haus gelebt, seitdem sie aus Wien nach Rom gekommen war, um ihrem Bruder den Haushalt zu führen.
    Sie trank einen Schluck Kaffee und hörte das pfeifende Atmen, gefolgt von qualvollem Stöhnen. Anna schaute auf die Tür zum angrenzenden Zimmer. Die Geräusche zerrissen ihr schier das Herz. Sie stellte die Tasse ab, bekreuzigte sich und betrat den Raum, der als Arbeits- und Schlafzimmer diente.
    An den Wänden standen Regale mit Büchern über Archäologie, Religion und Geschichte; überall hingen alte Fotos. Einunordentlicher Stapel Zeitungen lag auf einem Tisch neben dem Bett. In diesem Zimmer hatte Annas älterer Bruder Franz ihr oft aus seinen Lieblingsbüchern und aus Zeitungen vorgelesen.
    Und nun würde er in diesem Zimmer sterben.
    Voller Mitleid schaute Anna auf ihren schlafenden Bruder, dessen ausgemergelter Körper sich unter der Bettdecke abzeichnete. Neben dem Bett stand ein Beatmungsgerät mit einer Atemmaske. Franz umklammerte mit seinen knöchernen, vom Nikotin braunen Fingern ein Kruzifix aus Holz. Seine Augen waren geschlossen.
    Sein einst so ausdrucksstarkes Gesicht war eingefallen, die Wangen hohl. Die Haut seines geschwächten Körpers besaß dieselbe Farbe wie die alten Pergamente, die er sein Leben lang studiert hatte. Das dünne rote Haar, von dem nach der Chemotherapie nur ein paar Strähnen übrig waren, klebte auf seinem Schädel.
    Der fünfundsechzigjährige Mann war sein Leben lang Kettenraucher gewesen; jetzt pfiffen seine kranken Lungen bei jedem Atemzug. Anna erkannte an der schweißüberströmten Stirn ihres Bruders, dass er wieder eine schwere Nacht hinter sich hatte. Es war beinahe unerträglich für sie, in das verhärmte, schmerzverzerrte Gesicht des Sterbenden zu blicken.
    Anna wischte sich die Tränen aus den Augen und schaute auf die gerahmten Fotos an der Wand, auf denen der andere Franz Kubel zu sehen war, der engagierte Priester, auf den Anna und ihre Eltern so stolz gewesen waren. Schnappschüsse von Franz als Ministrant in Wien und später als junger Priester im Seminar in Graz. Bilder von ihm in Rom, die ihn mit mindestens zwei ehemaligen Päpsten und drei bedeutenden Kardinälen zeigten. Sein religiöser Eifer hatte von Zeit zu Zeit dazu geführt, sich exklusiven Kreisen des Vatikans anzuschließen. Er hatte für dasPriesteramt gelebt, und nichts hatte ihn mehr erfreut als Lob oder Anerkennung seiner Vorgesetzten.
    Ein paar Bilder zeigten ihn in Jerusalem und an den archäologischen Ausgrabungsstätten, die er so sehr geliebt hatte. »In die heiligen Fußstapfen Jesu treten«, hatte er seine zahlreichen Besuche in Israel genannt. Auf mehreren Fotos war er zusammen mit John Becket bei den Ausgrabungen zu sehen. Die Männer hatten freundschaftlich einen Arm um die Schultern des anderen gelegt und lächelten in die Kamera.
    Als Annas stolzer Blick über die vertrauten Fotos glitt, überkam sie tiefe Traurigkeit. Die Bilder waren vor langer Zeit aufgenommen worden, als ihre Welt noch in Ordnung gewesen war. Jetzt rang ihr Bruder mit dem Tod.
    Auf dem Nachttisch neben dem Bett stand eine kleine Emailleschale mit schmelzenden Eiswürfeln. Anna tunkte einen Waschlappen in die Schale und befeuchtete die aufgerissenen Lippen ihres Bruders. »Kannst du mich hören, Franz? Möchtest du ein Glas Wasser?«
    Der todkranke Mann atmete pfeifend ein, und seine Lider zuckten. Der schwache Schimmer in seinen glasigen Augen ließ Anna erkennen, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb. Doch plötzlich streckte er einen Arm aus und umklammerte Annas Handgelenk. Seine Finger drückten mit erstaunlicher Kraft zu.
    »Vergiss es nicht, Anna … kein Morphium mehr«, bat er mit krächzender Stimme.
    Anna befreite sich behutsam aus seinem Griff und streichelte seine knöchernen Finger. »Ja, ich vergesse es nicht.«
    Kaum berührte sein Kopf wieder das Kissen, bekam er einen fürchterlichen Hustenanfall.

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