Der Zweite Messias
her.«
Seine Stimme war tief und kraftvoll, doch erstaunlich sanft für einen so stattlichen Mann. Jack war tief beeindruckt. Er konnte nicht fassen, dass er mit dem Papst persönlich sprach. »Zwanzig Jahre«, sagte er.
»Die Zeit ist wie im Flug vergangen. Ich habe gehört, dass Sie Archäologe geworden sind wie Ihr Vater. Er wäre bestimmt sehr stolz auf Sie gewesen.«
Becket war freundlich wie immer, doch als Jack ihn genauer betrachtete, fiel ihm auf, wie erschöpft er wirkte. Seine Augen waren geschwollen, als hätte er kaum geschlafen. Jack schaute hinaus in den Garten. Die Wachmänner ließen ihn keine Sekunde aus den Augen. »Um die Wahrheit zu sagen, hatte ich erwartet, Sie im Vatikan zu treffen.«
Becket umklammerte den Rock seiner Soutane und setzte sich auf die Bank. »Die Umgebung hier ist weniger förmlich. Es macht Ihnen doch nichts aus? Ich fürchte, das ist auch der Grund für das starke Aufgebot an Sicherheitskräften. Bitte, nehmen Sie Platz.«
Jack setzte sich zum Papst auf die Bank.
»Ich habe Sie oft in meine Gebete eingeschlossen«, fuhr Becket fort. »Der Tod der Eltern ist ein schrecklicher Verlust. Wenn man jung ist und das einzige Kind, ist es eine Tragödie. Ich wünschte, ich hätte Ihnen als Geistlicher damals mehr Trost spenden können.«
In Beckets Augen spiegelte sich aufrichtige Trauer. Er legte eine Hand auf Jacks Schulter, und der Blick aus seinen durchdringenden blauen Augen schien bis in Jacks Seele zu dringen.»Aber eines ist sicher, Jack. Ihre Eltern wachen über Sie, und eines Tages werden Sie alle wieder vereint sein. Sie lieben Sie noch immer, nur dass sie jetzt an einem anderen Ort sind.«
Beckets Vertraulichkeit war entwaffnend. Jack versuchte, sich auf den Grund seines Besuchs zu konzentrieren. Er rutschte zur Seite, sodass Beckets Hand von seiner Schulter fiel. Die Geste schien den Papst im ersten Augenblick zu überraschen.
»Nun, Jack«, begann er schließlich, »Kardinal Kelly hat mich zu dem Treffen mit Ihnen gedrängt. Er sagte mir, Sie hätten eine Schriftrolle mit einem äußerst kontroversen Text gefunden und wollten mich persönlich über deren Inhalt informieren.«
»Das ist richtig.«
»Ich gebe zu, Sie haben meine Neugier geweckt. Und die seltsame Wendung des Schicksals hat mich verwundert. Ihr Vater hatte in Qumran ebenfalls eine Schriftrolle gefunden. Aber wie kommen Sie darauf, die von Ihnen entdeckte Rolle könnte für den Vatikan so bedeutsam sein?«
Jack schaute Becket in die Augen. »Darauf komme ich noch zu sprechen. Zuerst möchte ich Sie bitten, mir die Wahrheit zu sagen.«
»Ich verstehe nicht …«
»Sie verstehen mich sehr gut«, sagte Jack gereizt. »Ich glaube, meine Eltern sind nicht bei einem Unfall gestorben, sondern einem Mord zum Opfer gefallen. Und ich glaube, Sie haben die Schriftrolle meines Vaters gestohlen.«
109.
R OM
Im Garten herrschte Stille. Nur das Plätschern des Brunnens war zu hören. Jack wartete gespannt auf Beckets Reaktion. Ihm fiel auf, dass dem Papst mit einem Mal unbehaglich zumute war.
»Sie haben meine Frage nicht beantwortet«, sagte Jack.
Becket musterte ihn mit seinen durchdringenden blauen Augen. »Das ist eine schwere Anschuldigung, Jack.«
»Mehr haben Sie dazu nicht zu sagen?«
»Sie sind sehr aufgebracht.«
»Ich sitze neben dem Mann, der möglicherweise meine Eltern getötet hat. Was meinen Sie, wie ich mich fühle?«
»Sie glauben wirklich, ich hätte sie getötet?«
»Sie waren der Erste am Unfallort. Und ich habe nie erfahren, was Sie an dem Tag dort gemacht haben.«
»Ich war auf dem Weg nach Jerusalem.«
»Ich glaube, Sie lügen.«
Becket verkniff sich eine Antwort.
»Erinnern Sie sich an Sergeant Raul, der Sie damals vernommen hat?«, fragte Jack.
»Natürlich.«
»Er war überzeugt davon, dass jemand sich an den Bremsleitungen des Pick-ups, in dem meine Eltern saßen, zu schaffen gemacht hatte. Aber er konnte es nicht beweisen.«
Becket erblasste und schüttelte den Kopf. »Der Sergeant hat mit mir nie über seinen Verdacht gesprochen.«
»Und was ist mit der vermissten Schriftrolle? Es gab keineBeweise, dass sie bei dem Unfall verbrannt ist. Sie wissen mehr, als Sie sagen, nicht wahr?«
»Jack …«
»Was mit meinen Eltern passiert ist, hat mir das Herz gebrochen. Seit dem Tag habe ich keinen Frieden mehr gefunden. Aber es geht nicht nur darum, die Vergangenheit endlich zu begraben oder ein Verbrechen aufzuklären. Es geht nicht einmal um Gerechtigkeit. Es geht ganz
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