Der Zweite Messias
habe ich genug gesehen, Jack.«
»Okay«, sagte er und führte sie hinaus ins Sonnenlicht. Sie schaute auf die Zelte und Container und drehte sich dann zu Jack um. »Es gibt noch einen Grund, weshalb ich dich hierher begleitet habe. Ich wollte unter vier Augen mit dir sprechen, ohne dass Mosberg und die anderen zuhören.«
»Warum?«
Lela musterte ihn eindringlich. »Weil wir alte Freunde sind, Jack. Wir haben noch nicht alle Verhöre geführt. Möglicherweise stoßen wir noch auf konkrete Hinweise, wer den Professor getötet hat und warum. Außerdem verständigen wir Interpol, damit sämtliche Polizeibehörden informiert sind, falls jemand versucht, antike Schriftrollen zu verkaufen. Wir werden alles tun, was in unserer Macht steht. Das ist die gute Nachricht.«
»Und die schlechte?«
»Für Sergeant Mosberg bist du im Augenblick der Hauptverdächtige.«
16.
R OM
Hinter der Vatikanischen Bibliothek, in der Nähe eines offenen Hofes, dem Cortile del Belvedere , steht ein stattliches, mit Granit verkleidetes Gebäude. Am Eingang hängt kein Hinweisschild, und den wenigen Auserwählten, die dort zu tun haben, ist dieses Gebäude als Archivio Segreto Vaticano bekannt – dieGeheimarchive des Vatikans, deren Gewölbe eine umfangreiche Sammlung an historischen Schätzen und zahllose Geheimnisse der katholischen Kirche bergen.
Es war kurz nach zwei an diesem Nachmittag, als der Kardinal das Gebäude durch die wuchtigen Eichentüren betrat. Er ging an den unauffällig bewaffneten Sicherheitskräften vorbei und betrat einen Marmorgang, ohne den Aufseher zu beachten, der an einem großen Eichentisch vor dem Wachbuch saß. Jeder Besucher musste sich in dieses Buch eintragen, ehe er passieren durfte, doch der Kardinal hatte seit Jahren nicht mehr unterschrieben, und niemand hatte je gewagt, ihn dazu aufzufordern.
Er war als junger amerikanischer Geistlicher hierhergekommen, als er am Päpstlichen Seminar für Rechtsstudien gearbeitet und die Akten alter Gerichtsurteile studiert hatte, die in den Archiven aufbewahrt wurden. Damals war die Möblierung noch mittelalterlich gewesen; inzwischen war sie modern, und die Räume waren mit Fotokopierern und Computern, Cola-Automaten und Kaffeemaschinen ausgestattet.
Er hielt den Kopf gesenkt, denn er war sich bewusst, dass das unerwartete Auftauchen eines Kurienkardinals die Mitarbeiter nervös machte. Viele waren noch jung und leger gekleidet – geistliche Gelehrte und Kuratoren, die über das geheimste Archiv der Welt wachten.
Der Kardinal betrat einen Saal, in dem sich der Präfekt der Archive aufhielt und wachsam beobachtete, wie seine Assistenten schweigend Dokumente für die wenigen Gelehrten zurechtlegten, die die Erlaubnis hatten, die Unterlagen einzusehen. Doch selbst dieser Akteneinsicht waren Beschränkungen auferlegt: Bei einigen extrem sensiblen Dokumenten war die Zustimmung des Papstes erforderlich, ehe sie studiert werden durften.
Der Kardinal achtete nicht auf die flüchtigen Blicke desPräfekten und seiner Mitarbeiter und ging zur Rückseite des Gebäudes.
Die Vatikanischen Archive waren eine Fundgrube, in der man die erstaunlichsten Geheimnisse zutage fördern konnte. Hier gab es Regale von fast fünfzig Kilometern Länge, gefüllt mit Büchern, Pergamenten und Manuskripten von größter historischer Bedeutung. Uralte Schriften lagerten hier, in denen vergessene Sünden und gebrochene Versprechen, Ablässe und besondere Ausnahmen vom Kirchenrecht aufgelistet waren. Hier wurden Berichte von jedem Konklave seit dem fünfzehnten Jahrhundert archiviert. Doch es gab noch viel mehr: Dokumente der Inquisition, Geheiminformationen über die Mongolen aus dem dreizehnten Jahrhundert, Kirchenberichte über Johanna von Orléans und Korrespondenz, die dazu beigetragen hatte, dass sie als Ketzerin verbrannt worden war. Es war eine ungeheuere Fundgrube von Dokumenten, die von Napoleon bis Hitler, von Luther bis Calvin alles umfassten, was von historischer Bedeutung war.
Hier gab es Sammlungen, die albtraumhafte Zeichnungen vom Ende der Welt enthielten, von Teufeln und Vampiren und Frauen mit den Körpern von Nymphen und den Gesichtern von Bestien, die aus der Zeit Innozenz III. stammten. Akten, die von Ufos, religiösen Erscheinungen und Enthüllungen, von dämonischer Besessenheit und Teufelsaustreibungen handelten, und Stahlkisten, die düstere Kirchengeheimnisse und unglaubliche Prophezeiungen enthielten.
Der Kardinal kannte auch die bedeutenden heiligen Relikte und
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