Der Zweite Messias
goldene Gefängnis?«
»Ich weiß nicht, ob ich Ihnen folgen kann …«
»Diese Zurschaustellung der Macht. Diesen Prunk. Diese maßlose, ausufernde und oft kleinliche Bürokratie. Als Diener Gottes sollten wir derartige Ablenkungen nicht nötig haben.«
»Ich verstehe nicht, was Sie damit sagen wollen …«
»Diese Kirche wurde von einem Zimmermann aus Nazareth gegründet, der nichts besaß, nicht einmal ein Bett, um sich auszuruhen. Wir haben die Aufgabe, seine Mission fortzusetzen, ersticken aber in Reichtum. In der ganzen Welt gibt es hungrige Menschen, die nicht einmal Schuhe besitzen, und ich bin von Prunk und Überfluss umgeben und lebe in goldenen Räumen. Es beschämt mich, dass der Nachfolger des Zimmermanns wie ein König lebt.«
»Heiliger Vater, die Kirche muss ihr Ansehen wahren. Sie muss ihren Status und ihre Traditionen aufrechterhalten.«
»Nein.« Becket hob eine billige Leinentasche vom Boden auf, die aussah, als hätte er sie in den schmuddeligen Gassen gekauft, in die er geflohen war. »Ich verlasse den Vatikan, Umberto. Die wenigen Dinge, die ich brauche, hab ich eingepackt.«
Fassungslos fragte Cassini: »Verlassen?«
»Von heute an ist der Vatikan nicht mehr mein Wohnsitz.«
52.
Q UMRAN
»Okay, Pierre, achte darauf, dass die Männer vorsichtig sind. Einige Dinge in diesen Kisten sind zerbrechlich.«
»Natürlich, mon ami .«
Buddy Savage wischte sich den Schweiß von der Stirn und sprang von der Ladefläche des Fiat-Lastwagens. Er musterte den kleinen Franzosen mit der fröhlichen Miene, dem Ohrringund dem Pferdeschwanz, der eine Gruppe beduinischer Arbeiter beaufsichtigte, die Kisten auf den Laster luden.
Savage stand dort mit seiner schmuddeligen Baseballkappe auf dem Kopf, als jemand mit schwerem Akzent ihn ansprach. »Sie scheinen sehr beschäftigt zu sein, Mr. Savage. Ich hoffe, ich störe Sie nicht bei der Arbeit.«
Savage drehte sich zu Sergeant Mosberg um. »Ja, es gibt viel zu tun. Die Grabungen werden in dieser Woche beendet. Wir müssen das Camp abbauen. Alles würde schneller gehen, würden die Reporter uns nicht dauernd auf die Pelle rücken. Ständig tauchen sie hier auf und stellen Fragen.«
»Müssen Sie dringend woandershin?«
»Nein, aber wenn wir nicht alles sorgfältig katalogisieren und sämtliche Unterlagen an die Behörde für Altertumsforschungen übergeben, gibt’s Ärger.«
»Graben Sie nicht mehr nach Schriftrollen?«
Savage zündete sich eine Zigarette an und inhalierte den Rauch. »Für diese Saison ist unsere Arbeit beendet. Im Frühling wird es zu heiß, um hier zu graben, aber ein paar Leute bleiben noch, um Ordnung zu schaffen. Für die anderen ist jetzt Schluss. Was kann ich für Sie tun, Mosberg?«
Der Sergeant zeigte auf die Kisten. »Was genau ist in diesen Kisten, Mr. Savage?«
»Tonscherben, Knochen, Münzen, persönliche Artefakte und Schmuck«, erwiderte Savage mit der Zigarette im Mundwinkel. »Fast alles stammt aus dem ersten Jahrhundert nach Christus. Die Arbeit von drei Monaten. Warum?«
Mosberg zog einen Notizblock aus der Tasche und klappte ihn auf. »Tut mir leid, aber ich muss Ihnen noch ein paar Fragen stellen, Mr. Savage.«
Savage seufzte und schob seine Baseballkappe ein Stückzurück. »Zehn Minuten, Sergeant, dann muss ich hier weitermachen. Ich könnte was Kaltes vertragen. Möchten Sie auch eine Cola?«
»Gern, sehr freundlich.«
Savage warf seine Zigarette in den Sand. »Folgen Sie mir in meine bescheidene Hazienda und entschuldigen Sie die Unordnung.«
»Ich habe noch etwas, was Sie interessieren könnte«, sagte Mosberg. »Die Kriminaltechniker haben die Fragmente der Schriftrolle analysiert, die sie in Professor Greens Zelt gefunden haben. Das Material stimmt definitiv mit dem der anderen Schriftrollen vom Toten Meer überein. Sie haben auch das Alter der Fragmente und der Tusche mit Hilfe der C14-Methode bestimmt.«
»Und?«
»Es gibt keinen Zweifel, dass sie ungefähr zweitausend Jahre alt sind.«
53.
Savage führte Mosberg in sein beengtes Zelt.
»Die Experten haben es auf ungefähr zwischen fünfunddreißig bis fünfzig nach Christus datiert«, sagte der Sergeant. »Sie scheinen nicht überrascht zu sein, Savage.«
»Warum sollte ich? Ich habe nicht eine Sekunde an der Echtheit der Schriftrolle gezweifelt. Im meiner Karriere habe ich schon eine ganze Reihe von Schriftrollen gesehen. Ich wusste, dass sie echt ist.«
Mosberg ging an dem zusammengeklappten Feldbett, einem verbeulten Reisekoffer und
Weitere Kostenlose Bücher