Der Zweite Messias
der sich über die Autobahn in Richtung Rom wälzte. Die Autofahrer waren nervös; ständig hupte jemand. »Und das war zu einer Zeit, bevor es diese Verkehrsprobleme gab.«
Yasmin schaute auf die Uhr. »Wir sind schon eine Stunde unterwegs und kaum vorangekommen.«
Plötzlich scherte der Taxifahrer, ein kleiner Mann mittleren Alters mit traurigen Hundeaugen und einem Dreitagebart, aus der Schlange aus und nahm die nächste Ausfahrt. Er fuhr durch schmale, kopfsteingepflasterte Straßen, und kurz darauf waren sie in den Hügeln über der Stadt. Der Taxifahrer drehte sich grinsend zu ihnen um und sagte auf Italienisch: »Eine Abkürzung.«
Als der Fahrer scharf rechts abbog und die beiden über die Rückbank rutschten, klammerte Yasmin sich an ihrem Sitz fest. Sekunden später erlangten beide ihr Gleichgewicht zurück.Yasmin setzte sich aufrecht hin und kicherte. »Bist du zum ersten Mal in Rom?«
»Nein. Ich habe hier mehrmals bei Ausgrabungen mitgearbeitet. Der größte Teil des antiken Rom ist begraben, aber manches ist noch sichtbar. Zehn bis zwanzig Meter unterhalb des Straßenniveaus liegt fast eine ganze Stadt, und das praktisch unter jeder Straße. Sogar unter dem Vatikan gibt es unterirdische Gänge, Tunnel und Abwasserkanäle, die Rom durchziehen. Sie führen zu Krypten und Katakomben, Bädern und Palästen, Gefängnissen und Bordellen. Es ist unglaublich.«
Der Fiat quälte sich durch ein Labyrinth schmaler Straßen den Hügel hinauf, bis der Fahrer rechts abbog. Fünf Minuten später fuhren sie am Petersplatz vorbei.
Jack schaute auf den geschichtsträchtigen Platz, auf dem sich Taubenschwärme tummelten. Neben einem Seiteneingang des Vatikans hielt der Taxifahrer an. Eine von Schweizergardisten bewachte Schranke versperrte den Weg. Der Fahrer kratzte sich die Bartstoppeln und schaute Jack an. »Soll ich Sie hier absetzen?«
»Ja, hier ist es gut.« Jack bezahlte den Taxifahrer in Euro, die er am Flughafen von Tel Aviv eingetauscht hatte. »Warten Sie bitte hier, bis wir zurück sind«, sagte er dann. »Es kann aber eine Weile dauern.«
»Lassen Sie sich ruhig Zeit, Signore«, sagte der Fahrer erfreut. »Mario wartet. Kein Problem.«
Als sie sich den Schweizergardisten an der Schranke näherten, sagte Jack unvermittelt: »Ich muss dir etwas beichten. Ich habe die Schriftrolle aus dem Arbeitszimmer von Pater Novara mitgenommen.«
Yasmin blieb wie angewurzelt stehen, als wäre sie gegen eineunsichtbare Wand gelaufen, und starrte Jack mit großen Augen an. Für einen Moment hatte es ihr die Sprache verschlagen.
»Es ist die Wahrheit, Yasmin. Als ich das Original entdeckt habe, habe ich es mit einer anderen alten Schriftrolle vertauscht, die in dem Arbeitszimmer lag.«
»Dann hat Pasha jetzt die falsche Schriftrolle?«
»Ja.«
Yasmin lachte auf. Doch als sie begriff, was das bedeuten könnte, verdüsterte sich ihre Miene. »Pasha wird es gar nicht gefallen, dass du ihn reingelegt hast.«
»Das Risiko musste ich eingehen.«
»Wie hast du es geschafft, die Schriftrolle über die israelische Grenze zu schmuggeln?«
Jack schlug auf sein verletztes Bein. »Die Posten haben meinen Verband nicht kontrolliert. Ich habe mir aus Josufs Verbandskasten eine Plastiktüte genommen, die Schriftrolle hineingesteckt und die Plastiktüte mit dem Verband umwickelt. Nachdem wir die Grenze passiert hatten, habe ich sie in einem unbemerkten Augenblick unter mein Hemd gesteckt.«
»Wurde sie denn nicht beschädigt?«
»Nicht der Rede wert.«
»Jack, das kann uns beide das Leben kosten!«
»Jetzt verstehst du sicher auch, warum ich allein nach Rom fliegen wollte, oder?«
»Die Erklärung kommt ein bisschen zu spät«, erwiderte Yasmin gereizt. »Wo ist die Schriftrolle jetzt?«
»An einem sicheren Ort. Mehr kann ich dir nicht sagen.«
»Du willst es mir nicht sagen?«
»Das bleibt vorerst mein Geheimnis, tut mir leid.«
»Ist das dein Ernst? Nach allem, was wir gemeinsam durchgemacht haben? Vielen Dank für dein Vertrauen, Jack.«
»Glaub mir, es ist besser so. Vielleicht sage ich es dir später. Du bist die Einzige, die weiß, dass ich die Schriftrolle versteckt habe. Selbst Buddy hat keine Ahnung davon. Ich will nicht, dass jemandem etwas passiert, weil er zu viel weiß. Übrigens ist es mir gelungen, noch eine Zeile zu entschlüsseln.«
»Tatsache?«
»Ja. Als du im Flugzeug geschlafen hast, habe ich an einem Satz gearbeitet, den ich mir aufgeschrieben hatte. Ich glaube, ich habe ihn
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