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Der zweite Mord

Der zweite Mord

Titel: Der zweite Mord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Tursten
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die hier in der Gegend unterwegs ist. Sie wissen nichts über eine Stadtstreicherin?«
    Vorsichtig begann Schwester Ellen die Pflaster von Irenes Gesicht zu ziehen. Obwohl sie geschickt war, tat es weh. Als sie alle alten Kompressen entfernt hatte, nahm sie sich etwas Zeit, um darüber nachzudenken, was Irene gesagt hatte.
    »Eine Stadtstreicherin? Davon kann es doch nicht so viele geben. Nein. Davon weiß ich nichts … Wie sieht sie aus?«
    »Klein und dünn. Sie trägt eine gestrickte rosa Mütze und einen großen Herrenmantel.«
    »Möglicherweise habe ich sie beim Brända Tomten gesehen.«
    »Brända Tomten?«
    »So nennen wir diesen Platz im Scherz. Vor elf Jahren gab es hier beim Krankenhaus eine große Chefarztvilla. Irgendwann brannte sie ab, und jetzt haben wir an dieser Stelle den Personalparkplatz.«
    »Ach so. Warum wurde die Villa nicht wieder aufgebaut?«
    Schwester Ellen unterbrach ihre Beschäftigung. Sie biss sich auf die Unterlippe, und zum ersten Mal während ihres Gesprächs hatte Irene das Gefühl, dass sie zögerte, die Wahrheit zu sagen. Schließlich meinte die Krankenschwester:
    »Frau Löwander geriet vollkommen außer sich und behauptete, dass Carina das Feuer gelegt habe.«
    »Ist nicht Carina Löwander identisch mit Frau Löwander?«
    »Sie ist Frau Löwander Nummer zwei. Dr. Löwander war vorher mit Barbro verheiratet. Mir ihr zog er ein Jahr nach dem Tod des alten Dr. Löwander in die Chefarztvilla. Gerade als sie eingezogen waren, reichte Dr. Löwander die Scheidung ein! Sie war am Boden zerstört.«
    »Haben sie Kinder?«
    »Ja. John und Julia. John wohnt in den USA, und Julia ist im Augenblick ebenfalls dort. Sie ist Austauschschülerin.«
    »Barbro Löwander wohnte also allein in der Chefarztvilla.«
    »Nein. Sie zog aus. Sverker blieb dort wohnen.«
    »Warum sollte Carina das Haus anstecken, in dem sie zusammen mit Sverker wohnen konnte?«
    »Weil sie in dem unmodernen Haus nicht wohnen wollte. Laut Barbro.«
    »Und deswegen wäre sie also hingegangen und hätte es niedergebrannt? Klingt weit hergeholt.«
    »Ja. Das fanden wir auch alle. Barbro war wie gesagt in dieser Zeit sehr aus dem Gleichgewicht. Keiner kümmerte sich groß um das, was sie sagte.«
    »Brannte das Haus vollkommen ab?«
    »Ja. Es wurden nur ein paar alte Sachen durch eine Kellertür gerettet. Ich kann mich noch erinnern, dass Carina sich weigerte, diese alten Sachen in ihrem neuen Haus unterzubringen. Dr. Löwander stellte sie hier auf den Speicher.«
    »Stehen die Sachen immer noch dort?«
    »Wahrscheinlich. Voriges Jahr habe ich sie noch gesehen, als ich wegen der Adventsdekoration auf dem Speicher war. Dieser Teil des alten Speichers ist nie umgebaut worden und wird nur als Lager genutzt.«
    »Hat sich Schwester Tekla dort erhängt?«
    Ellen Karlsson erstarrte und antwortete dann kurz:
    »Ja.«
    Irene beschloss das Thema zu wechseln und kam wieder auf Mama Vogel zu sprechen:
    »Sie haben gesagt, dass sie diese Frau eventuell beim Brända Tomten gesehen haben?«
    Ellen Karlsson entspannte sich wieder.
    »Ja. Vor etwa zwei Wochen. Es war kurz vor sechs Uhr am Morgen. Ich war besonders früh dran, weil mir am Abend vorher einiges liegen geblieben war. Ich habe sie nur einen kurzen Augenblick unter einer Laterne gesehen. Dann verschwand sie im Park.«
    »Sie haben sie dann nicht noch einmal gesehen?«
    »Nein.«
    Die Schwester legte den Kopf auf die Seite und begutachtete Irenes frischen Schorf.
    »Das verheilt gut. Sie brauchen jetzt nur noch eine Kompresse. Für den Rest reichen Pflaster. Sie nehmen doch noch immer das Penicillin?«
    Irene nickte gehorsam.
    »Kennen Sie Barbro, die erste Frau von Sverker Löwander?«
    »Ja. Sie war hier bei uns Sprechstundenhilfe. Aber nach der Scheidung bekam sie eine Stelle am Sahlgrenska. Sie wollte nicht hier bleiben, weil Carina damals noch hier gearbeitet hat.«
    »Als was?«
    »Krankengymnastin. Sverker Löwander und Carina haben sich hier im Krankenhaus kennen gelernt.«
    »Aber sie arbeitet ebenfalls nicht mehr hier?«
    »Nein. Vor einigen Jahren hat sie auf vorbeugende Medizin umgesattelt. Sie leitet das Bewegungsprojekt des Betriebsärzteverbundes. Das passt ihr sicher ausgezeichnet. Da kann sie mit den Leuten machen, was sie will.«
    Ihr Ton hatte ganz deutlich an Schärfe zugenommen, aber bevor Irene noch darauf eingehen konnte, klopfte es an der Tür. Gleichzeitig wurde die Tür aufgerissen und die Intensivschwester Anna-Karin streckte ihren Kopf herein.
    »Hallo.

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