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Der zweite Tod

Der zweite Tod

Titel: Der zweite Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Scholten
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hervor. Sie hatte sich mit unsicherem Stand auf den Felsen von Långholmen aufgestellt. Im Hintergrund sah man das graue Wasser des Mälaren, das der Herbstwind an den Strand trieb, das flatternde Segel eines scheinbar steuerlos im Hintergrund treibenden Segelboots und eine davonfahrende Fähre voller Menschen. Obwohl Kjell sich stets bemüht hatte, ihr eine ganz und gar unzynische Haltung vorzuleben, war aus ihr eine kleine Meisterin im Zitieren von Klischees geworden. Linda konnte eine am Horizont verschwindende Fähre voll winkender Menschen malen, als hätte es das nie zuvor gegeben. Bei aller Ernsthaftigkeit konnte sie mit den Augen zwinkern wie keine andere. Das schätzte er am meisten an ihr.
    Linda hatte lange mit sich gerungen, ob sie dieses Bild ausstellen sollte, ob sie das Mädchen zur Schau stellen durfte. »Bilder sind doch zum Anschauen da«, hatte Vivian dazu gesagt.
    »Gefällt es dir?«, wollte Kjell von Barbro wissen.
    »Sag mal, ist das eigentlich dein Hemd, das sie da auf dem Bild trägt? Das ist doch das blaue.«

11
    Seine Maßlosigkeit war so groß gewesen, hatte alles gesprengt. Maßlos in allem. Seine Zärtlichkeit war maßlos gewesen und seine Grausamkeit. Mit beidem hatte er sie verschlungen.
    Der Wunsch, sich von ihm loszulösen, war langsam gewachsen. Losgelöst hatte sie sich nicht, sie hatte getötet. Und ihn für alles verantwortlich gemacht, was schlechter gewesen war als früher. Jetzt erkannte sie ihre Ungerechtigkeit. Jetzt, da Carl ihr schon so fehlte, da sah sie, was er ihr gegeben hatte, jetzt, da all das Schlechte vergolten war. Dieses Gefühl begann, alle anderen Gefühle zu überdecken.
    Carl hatte nie gequält. Qual war, einen schattigen Platz in seiner lichten Welt einzunehmen, oder schlimmer, diese Welt zu verlieren. Jetzt war diese Welt verpufft, mit ihrem Schöpfergott verschwunden. Was blieb, war nass und kalt.
    Jetzt war sie nur noch Mari.
    Viel war das nicht. Sie wusste jetzt, wie wenig das war. Er hatte nicht viel übrig gelassen. Nur seine Überraschung, die hatte ihr gehört. Ihr ganz allein. Nachtschwarz zog der Himmel am Fenster vorbei.

12
    Donnerstag, 29. November
     
    Früh am Morgen brach Sofi nach Uppsala auf. Es hatte wieder angefangen zu schneien. Sie summte im Takt der Scheibenwischer, um später redseliger und offener zu sein. Hinter Knävsta sang sie dann laut. Es war ein värmländisches Lied. Das kannte sie von Bengt, dem Knecht, vom Hof ihrer Pflegeeltern. Sie hatte Jahre gebraucht, um dahinterzukommen, dass sein värmländisches Liedgut aus lauter spontanen Eigenkompositionen bestand. Davor hatte sie gestaunt, dass er zum Namen jeder aktuellen Liebschaft ein Lied, das genau diesen Namen im Refrain enthielt, auf der Pfanne hatte, wie er es nannte.
    Sie versuchte sich vorzustellen, was der Tag bringen würde. Sie wollte zuerst noch einmal mit Tivéus sprechen und sich in den Archiven des Instituts umsehen. Für den Mittag war ein Gespräch mit einem Ägyptologen verabredet, dessen Spezialität rätselhafte Inschriften waren. Von diesem Tag erhoffte sie sich Hinweise, die ihr die Entzifferung des Passworts erleichtern könnten.
    Das Gespräch mit Tivéus war kurz und beschränkte sich auf Auskünfte, wo Soft ihren Mantel ablegen konnte und wo etwas in dem Institut zu finden war. Der Professor stellte ihr eine Studentin zur Seite, eine von der Sorte, wie es sie an jedem Institut und in jeder Schulklasse als Klassensprecherin gibt. In Firmen verwalteten diese Leute immer die Kaffeekasse. Sie half Sofi, Bücher im Zettelkatalog und in den Regalen zu finden. Sofi suchte neben Veröffentlichungen von Petersson gezielt nach Personen, die eng mit ihm zusammengearbeitet hatten. Doch das zu rekonstruieren, erwies sich als mühsam und schwer. Von den jetzigen Angehörigen des Instituts hatte keiner Petersson mehr erlebt.
     
    Bei ihrer Ausstellung hatte Linda mitten im Satz aufgehört, von John Osbomes Porträts zu schwärmen, den Satz jedoch an dieser Stelle wieder aufgenommen, als Kjell ihr am Frühstückstisch erzählte, dass er den Maler später besuchen wollte.
    »Du darfst aber nichts von meiner Ausstellung verraten«, flehte sie.
    Er versprach es.
    John Osborne öffnete die Tür und musterte ihn mit zusammengekniffenen Augen. Kjell stellte sich mit Namen und Dienstgrad vor. Osborne sprach leidlich Schwedisch und wollte wissen, was der Unterschied zwischen Kriminal- und Reichskriminalpolizei sei.
    »Derselbe wie zwischen County oder State Police und dem

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