Der zweite Tod
Inschriften Eulen-Hieroglyphen. Der ägyptische Führer lauschte den Worten der Frau genauso, wie die Spartaner ausländischen Gesandten zugehört hatten. Am Ende sagte der Führer: »M.« Und so hatte es auch gestern der Ägyptologe gemacht. Überall, wo die Eule im Passwortgitter auftauchte, hatte er sie mit »m« transkribiert, denn die Eule stand im Ägyptischen für den Laut »m«.
»Aber hat man das bei den ägyptischen Hieroglyphen nicht auch gedacht?«, kommentierte Kjell Idas Zusammenfassung. Man hatte den Stein von Rosetta, der eine ägyptische Inschrift mitsamt einer griechischen Übersetzung enthielt, schon lange gekannt. Dennoch war nach vielen Versuchen nur Champollion auf die Idee gekommen, einmal Hieroglyphen und griechische Wörter abzuzählen. Dabei hatte er eine enorme Diskrepanz bemerkt. Die Hieroglyphen konnten keine reine Bilderschrift sein, dazu hätte die griechische Übersetzung um ein Vielfaches länger sein müssen. Erst nach dieser Erkenntnis war es rasant vorangegangen.
Ida zuckte mit den Schultern. »Ich habe gehört, dass Madeleine gestorben ist.«
Er nickte.
»Ich wollte dich nicht kränken«, setzte er unsicher an. »Indem ich mich nach ihrem Tod bei dir melde. Ich habe wirklich lange überlegt und hätte mir nichts lieber gewünscht. Das weißt du ja.«
Ihr Lächeln sah ein bisschen leidend aus. Woher sollte sie das auch wissen? Fasste er jetzt in ihr silberblondes Haar, würde es sich weich und seidig anfühlen.
»Du bist ein bisschen blass«, sagte er.
»Mir geht es seit einigen Tagen nicht so gut«, antwortete sie.
Er erkundigte sich nach dem Grund. Sie zögerte erst, stand dann aber auf und verließ erneut das Zimmer. Mit einem Blatt Papier kehrte sie zurück. Es war der Ausdruck einer E-Mail. Sie stammte von einem Patrik Nygren. Der Name sagte ihm nichts.
»Hallo Ida! Muss unbedingt mit dir reden. Ich bin nächste Woche in der Stadt. Können wir uns treffen? Es ist sehr wichtig. Patrik.«
Kjell begriff nicht. »Wer ist das?«
»Ein Typ, mit dem ich vor vier Jahren einmal etwas hatte. Er wohnt jetzt in Göteborg. Wir haben seitdem nichts mehr voneinander gehört.«
Die E-Mail war vom vergangenen Freitag.
»Hast du ihm geantwortet?«
»Nur einen Satz. Ob es Aids ist.«
Ihm ging ein Licht auf.
»Du sitzt also seit dem Wochenende in deiner Wohnung und fragst dich, ob du dich bei ihm angesteckt hast?«
Sie nickte beschämt.
»Ist es möglich?«
»Ja.«
Er war sicher, dass sie sich schon so gut wie damit abgefunden hatte, bald sterben zu müssen. In ihrer Abschlussarbeit hatte Ida den Gottesbeweis von Anselm von Grund auf renoviert, so dass ihn sogar Immanuel Kant verstanden hätte. Damit hatte sie der mittelalterlichen Erkenntnistheorie einen gehörigen Schwung verpasst. Damit hatte nun wirklich niemand mehr gerechnet. Eine dämliche E-Mail hatte sie jedoch mühelos aus der Bahn geworfen. Keine Frage, dass sie sich nicht traute, sich testen zu lassen. Deswegen hatte sie ihm die Nachricht gezeigt. »Was ist das für ein Kerl?«
»Es könnte auch nichts dran sein. Bei ihm ist immer alles so dramatisch.«
»Könnte es denn sein, dass du andere angesteckt hast?«
»Nein.«
Sie bemerkte, dass er stutzte, fragte jedoch nicht, wie es bei ihm stand. Seit Madeleines Tod war er jedes Jahr einmal mit einer Frau ins Bett gefallen und am Morgen rausgekrabbelt und weggegangen.
Kjell zog sein Telefon aus der Tasche und rief Per auf seinem Mobiltelefon an, der noch oben in Peterssons Wohnung arbeitete. Er fragte ihn, ob er eine medizinische Garnitur im Transit habe. Was er denn geglaubt habe, wollte Per wissen, ob er den Transit brauche, um Litauer über die Grenze zu schmuggeln. Kjell bat ihn, die Garnitur aus dem Wagen zu holen und im Erdgeschoss bei Florén zu klingeln. Zehn Minuten später tauchte Per eine Nadel in Idas Armbeuge. Jetzt sah sie wirklich blass aus, aber Per war ganz zahm zu ihr. In ihren Augen las er das Grauen der nahenden Gewissheit, aber im Grunde war sie froh, so überrumpelt zu werden. Beim Gesundheitsamt hätte Ida zwei Wochen auf das Ergebnis warten müssen. Genau das hatte ihr Angst bereitet. Ihr Leben wäre in dieser Zeit zum Erliegen gekommen. Ida brauchte nicht viel zum Leben, nur einen klaren Kopf und Sorgen, die sich leicht verdrängen ließen.
Seit das Gespräch vorhin auf Linda gekommen war, hatte er daran gedacht, Ida am Abend mit zur Ausstellung zu nehmen. Nun endlich traute er sich zu fragen. Er erzählte ihr, dass Linda ganz in der
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