Der zweite Tod
bürsten. Ihr Eifer erlosch in dem Augenblick, als sie das kleine italienische Lokal betrat. Innen war es dunkel. Licht kam nur von der romantischen Phalanx aus Kerzen, die auf jedem Tisch stand. Die Gäste beugten sich intim über die Tischfläche hinweg einander zu, die Atmosphäre war voller Erwartung. Sofi verspürte Beklemmung. Sie hatte mit einem hellen und lauten Lokal gerechnet. Dies hier war ein Ort für Heiratsanträge. Und sie sah in ihrer grünen Hose aus wie eine Landvermesserin, die von der Arbeit kam. Ein aus der Knietasche herausragender Zollstock hätte als Accessoire noch gut zu ihr gepasst.
Sven Flemming hatte sie entdeckt und kam aufmerksam auf sie zu. Dass ihr Rausch gleich nach dem Eingang ins Stocken geraten war, bemerkte er nicht. Er verhielt sich so gelöst und beifällig wie am Morgen. Das war ihr angenehm. Es beruhigte sie auch, dass er immer noch Jeans und Pullover trug. Rasch waren sie in ein Gespräch vertieft, und Sofi entdeckte, dass sie bald genauso nach vorne geneigt dasaß wie die anderen Gäste. Es lag wohl daran, dass das Gegenüber im Dunklen verschwand, wenn man sich in die Lehne des Stuhls zurücksinken ließ.
Sven vermutete, dass die Hieroglyphen nur die letzte Stufe der Verschlüsselung waren, vielleicht um all jene zu verwirren, die sich damit nicht auskannten. Er vermutete, dass die Buchstaben irgendein mathematisches Rätsel darstellten, und das glaubte Sofi auch. Petersson war ein Tausendsassa, sie traute ihm auch auf mathematischem Gebiet solche Fähigkeiten zu.
Dass Kajsa Björklund und auch ihre Vorgängerinnen Artikel verfasst hatten, über denen Peterssons Name als Hauptautor stand, hatte seit dem Morgen bei ihr den Verdacht aufkeimen lassen, dass die Verschlüsselung nicht unbedingt allein Peterssons Werk sein musste. Sie erzählte Sven von dieser Vermutung.
»Das hat er nicht allein aus Eigennutz getan«, erklärte Sven lächelnd, bevor sie ihr Gespräch für das Essen unterbrechen mussten. Seit dem Morgen hatte sie nur sieben Kokosmakronen, eine Banane und eine Tafel Schokolade gegessen. Deshalb musste sie sich bremsen, um nicht zu schlingen.
»Es ist sehr schwer, seine Aufsätze zu veröffentlichen«, nahm Sven das Thema wieder auf. »Ohne seinen Namen hätte eine renommierte Zeitschrift die Artikel nicht angenommen. Außer man bietet wirklich etwas Außergewöhnliches. Ich habe meinen ersten Beitrag erst mit achtundzwanzig veröffentlicht.«
»Und worüber hast du geschrieben?«
»Magie.«
»Das hast du jetzt erfunden! Du willst es mir heimzahlen.«
Er schüttelte lachend den Kopf. »Das Thema hieß ›Der zweite Tod‹.«
Sie sah ihn gespannt an.
»Die Ägypter sahen ja den leiblichen Tod nicht als besondere Schwelle an, jedenfalls nicht als das Ende oder als Grenze, hinter der etwas Neues beginnt. Leider sind nur die Bauwerke aus Stein erhalten, den die Ägypter nur für den Totenkult verwendeten. Daher kommt unser schräges Bild, dass die Ägypter so todesfixiert waren. Das Gegenteil ist richtig. Sie waren lebensbejahend und diesseitiger als alle anderen.«
»Wie die Göteborger?«
»Ich bin zufällig von dort.«
»Wirklich?«
Damit Sven nicht begann, an diesem Zufall zu zweifeln, trug Sofi einige Verse vor, die Bengt an Samstagabenden immer gesummt und dazu auf der Fidel eine Teufelspolska gespielt hatte. »Göteborg, da geh ich gern von Bord, das gibt es Kneipen an jedem Ort, weg sind die Sorgen des Lebens bald, schon such ich an der ersten Theke Halt. In Stackerud, da gibt’s keine Kneipe, nicht eine leider, ich sitz’ hier fest, und Stackerud, das ist da, wo ich aufgewachsen bin.«
»Da kannst du sicher gut Hambo tanzen.«
»Das kann ich.«
Sie prosteten sich zu. Das Paar am Nebentisch starrte sie an. Sofi hoffte, den Mann nicht bei einem Heiratsantrag gestört zu haben, und bat Sven, über die Ägypter und den Tod weiterzuerzählen.
»Allerdings fürchteten sie den Tod auch nicht. Sie glaubten, dass sich das Leben im Jenseits verlängere. Das war jedoch nur möglich, wenn der Körper des Toten intakt blieb und die Nachfahren einen Totenkult ausübten.«
In dem schummrigen Kerzenlicht entfalteten Svens Worte ihre volle Wirkung.
»Als Gegenleistung für den Totenkult stand der Verstorbene seinen Nachkommen im Diesseits zur Seite. Wenn man ihn um etwas bat, konnte es sein, dass man nachhelfen musste, wenn sich der gewünschte Effekt nicht einstellte. Man drohte an, den Kult aufzugeben, so dass der Verstorbene im Jenseits noch einmal
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