Der zweite Tod
sterben musste. Das tat man auch mit Feinden oder Verbrechern, um sie für alle Ewigkeit zu vernichten. Man sorgte dafür, dass sie im Jenseits noch einmal starben. Und das nannte man den zweiten Tod.«
16
Als Mari aus dem winzigen Internetcafé trat, strich ein tröstend warmer Wind um ihren Hals. Am Nachmittag hatte sie nur eines getan, das verdammte Geld gezählt. Sie hatte auf dem Bett gesessen und zum ersten Mal gezählt. 50000 Euro. Das Geld aus dem Schrank. Und hunderttausend Kronen aus den Automaten.
Sie verharrte einen Augenblick in der engen Straße, deren Namen sie nicht kannte, und versuchte, den Rückweg zu ihrer Pension zu rekonstruieren. Sie hatte sich Sevilla ganz anders vorgestellt. Die Straßen, die sich um den Stadtkern wanden, waren weite Palmenalleen. Ihre Pension lag eine Viertelstunde von hier gleich bei der Kathedrale.
Sie hatte die Internetseiten aller schwedischen Zeitungen durchforstet. War Carl nun tot oder nicht? Hatte ihn denn niemand entdeckt? Hatte er irgendwo ihren Namen notiert? Irgendwo in der Wohnung konnte ihr Name stehen. Teresa! Kannte sie ihren Nachnamen? Was würde sie erzählen? Mari Svahn wusste nicht, ob Carl tot war.
Sie schlenderte die Gasse hinauf. Hinter ihr war jemand. Sie vernahm keine Geräusche, hatte dieses Gefühl jedoch schon auf dem Hinweg gehabt. Sie wandte sich schroff um. Dann rannte sie los.
17
Freitag, 30. November
Anders Ejdeholt hörte Kjell eine Weile beunruhigt zu. Kjell glaubte, in dem Professor die erste Person gefunden zu haben, die seinen Einblick in Mari vertiefen konnte. Dennoch gab er sich mit seinen Informationen vage. Ejdeholt saß nachdenklich im Sessel seines Büros in der Universität von Stockholm und lauschte. Zwischen den Sätzen gab der Professor durch Brummen zu verstehen, dass die Neuigkeit, die Kjell überbrachte, ein nicht unerwartetes Resultat einer längeren Entwicklung war.
Er hielt den Professor der Anthropologie für einen Mann, der den Kern einer Sache schon nach wenigen Sätzen zu erkennen vermochte. Als er schloss, wartete er auf eine prägnante und erhellende Bemerkung.
Der Professor sagte: »Oje!«, und richtete sich in seinem Sessel zurecht. Vor ihm stand sein leerer Frühstücksteller. »Du glaubst also, dass Mari die treibende Kraft hinter diesen Ereignissen ist?«
Kjell nickte.
»Sie war in der Tat in der letzten Zeit regelmäßig hier und las in der Bibliothek. Als sie mit ihrem Studium begann, war sie voller Elan. Was mir an ihr gefallen hat, war ihre Eigenständigkeit. Sie war keine von denen, die mir in und außerhalb der Sprechstunde das Sofa durchsitzen.«
Kjell lachte kurz auf. Wie gesagt, Anders Ejdeholt war ein Mann, der die Dinge beim Namen nannte. Und Anthropologe war er obendrein.
»Wir beschäftigen uns an diesem Institut mit der Entwicklung des Gehirns. Uns interessiert zum Beispiel, warum das menschliche Gehirn so groß geworden ist und welche Vorteile das hat.«
»Das hat vor allem Nachteile, das kann ich dir aus meiner Erfahrung sagen.«
Sie lachten.
»Als Mari herkam und mir ihr Thema für die Abschlussarbeit vorstellte, war ich zunächst skeptisch, aber ihr Konzept hat mich dann doch überzeugt. Es ging grob gesagt um Intellektualität und Trieb bei Frauen. Sie war zu Anfang sehr eifrig, aber dann änderte sich ihr Verhalten.«
»Inwiefern?«
»Unsere Gespräche waren immer sehr sachlich. An einem bestimmten Punkt habe ich sie jedoch gefragt, was eigentlich mit ihr los sei. Sie antwortete, dass es mit ihrem Vater zu tun habe. Er war krank. Sehr krank.«
»Aber sie hat ihr Studium doch abgeschlossen, oder?«
»Sehr gut sogar. Du solltest die Arbeit mitnehmen und lesen. Ich lasse sie dir in der Bibliothek heraussuchen. Wissenschaftlich ist die Arbeit gut, solide und ideenreich, inhaltlich äußerst unterhaltsam. Mari war an dem Thema sehr interessiert. Man kann durch die Lektüre viel über sie erfahren.« Er verstummte und lächelte in sich hinein. »Und über den Rest der Frauen ebenso.«
Im weiteren Verlauf des Gesprächs äußerte sich der Professor zu Maris Entwicklung. In den letzten zwei Jahren war sie immer stiller und träger geworden. Ejdeholt vermutete, dass die Belastung durch den Vater der Grund dafür gewesen war. Von Petersson hatte der Professor nie gehört.
»Soweit wir wissen, hat der Vater diese Zeit im Krankenhaus verbracht«, sagte Kjell. »Hat sie von finanziellen Problemen gesprochen?«
»Ich weiß, dass Mari nie viel Geld besessen hat, aber ich habe
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