Der zweite Tod
bist die Tochter von dem Policeman?«
Sie nickte scheu. Er bat sie herein. Was hatte sie mit ihren Haaren gemacht?
»Kaffee? Coke? Schwedische Holunderlimonade?«
»Ein bisschen Kaffee.«
Sie folgte ihm auf seine Aufforderung hin in die Küche. Er hoffte, sie war beim Zeichnen nicht so zaghaft. Er reichte ihr die Tasse und lehnte sich gegen die Küchenanrichte, trank einen Schluck vom Wein und beobachtete, wie sie mit beiden Händen die Tasse zum Mund führte und daran nippte. Sie war noch sehr jung, weit unter zwanzig. Er mochte ihre Haare. Sie waren dunkelblond, fein und zerzaust.
»Du malst also.«
Statt zu antworten, nippte sie noch einmal und musterte ihn aus den Augenwinkeln. Das wirkte unerwartet standhaft. Ihm gefiel, dass sie trotz ihres selbstverliebten Alters nicht gleich losplapperte. Das ließ sie erwachsen wirken. Er bekam Lust zu rauchen und zündete sich eine Zigarette an.
»Du rauchst ja hoffentlich nicht.«
»Manchmal. Heimlich.«
Er warf ihr die Packung hin. Sie konnte sie nicht auffangen, mit beiden Händen an der Tasse. Sie stellte sie ab und beugte sich nach der Schachtel, nahm eine Zigarette heraus und steckte sie sich an. Beim Anzünden sah er, dass sie nicht gelogen hatte. Sie rauchte wirklich nur manchmal.
»Ich lass dich nur rauchen, um die Polizei zu hintergehen.«
Beim Antworten sah sie ernst auf das brennende Streichholz. »Genau wie ich.«
Er lachte kurz auf. Sie bot einen lustigen Anblick mit dem ungeschickten Rauchen und ihren frechen Antworten. Sie rauchten eine Weile und tranken.
»Willst du ein Bild sehen?«
Sie nickte.
»Ist aber eine nackte Frau drauf. Wenns dich nicht stört.« Das schien nicht der Fall zu sein. »Ich frage mich, ob es fertig ist«, sagte er, als sie vor der Leinwand standen. Er wusste, dass das Bild alles Mögliche war, aber auf keinen Fall fertig. Sie ließ sich auf dem kleinen Schemel nieder, ohne dazu den Blick vom Bild lösen zu müssen.
»Hast du schon mal Akt gemalt?«, fragte er.
»Einmal. Schnelle Skizzen mit Kreide.«
»Nun, was hast du dazu zu sagen, Linda Cederström?«
Er genoss seine Gemeinheit. Sie ließ sich davon nicht verunsichern.
»Wer ist die Frau?«
Er verschluckte sich.
»Ein bezahltes Modell. Ich weiß nichts über sie. Sie heißt Selma.«
Das Modell hatte mit dem Rücken auf einer Unterlage gelegen und die Füße zum Gesäß gezogen. Ihre Knie ragten in die Luft. Auf dem Bild schwebte sie aufrecht wie Christus am Kreuz. Der Hintergrund war uneinheitlich rot.
Linda begann zögernd, geriet dann aber in Fahrt. Sie sprach von Verformung und erfasste das Verhältnis von Gestalt und Raum mit einem Satz. Er hatte Mühe, sich sein Erstaunen nicht anmerken zu lassen. Als sie mit ihren Ausführungen fertig war, drehte sie sich zu ihm.
»War sie so?«
»Mitgerissen?«
Sie nickte.
»Wie alt bist du?«
»Siebzehn. Es ist bestimmt schwer, nackt vor dir zu liegen. Du schaust so … einnehmend.«
Er lachte laut.
Sie lächelte entwaffnend in seine Richtung und wandte sich wieder dem Bild zu. »Ich könnt’s nicht. Glaube ich. Ich wär* nervös.«
»Das ist, was alle am Anfang denken.«
Eine Weile betrachteten sie schweigend die Leinwand. Dann begann ihr Blick zu wandern. Er gewann den Eindruck, dass sie ernsthaft darüber nachdachte. Auf einmal sah sie ihn an und biss sich auf die Unterlippe.
»Muss ich nackt sein?«
Nach dem Konzert standen die Menschen auf und applaudierten dem Orgelprospekt zugewandt. Kurz darauf waren sie beide allein in der Kirche. Sie rutschte etwas auf dem Sitz nach vorne, um kleiner zu werden und ihren Kopf an seine Schulter lehnen zu können. Zusammen mit einem anderen Menschen fiel es ihr leichter, nichts zu tun und dazusitzen.
»Ich hab so einen Hunger!«, sagte sie nach einer Weile.
»Um herauszufinden, wie man sich als Aktmodell fühlt, sollte man am besten nackt sein, ja. Aber du bist doch wegen des Malens hier.«
Sie nickte.
»Dann setz dich auf das Sofa. Ich mache ein paar Skizzen, und später darfst du zeigen, was du kannst.«
»Dass ich was kann?«
»Malen natürlich.«
Sie sah ihn ungläubig an, weil er mit ihr malen wollte. Hätte sie nicht in einem Satz das Kernproblem seines Bildes umrissen, das er seit Tagen weder mit dem Pinsel noch in seinem Kopf zu artikulieren vermochte, hätte er sich wohl nicht darauf eingelassen. Jetzt war er gespannt darauf.
Sie stand auf und ging zum Sofa. Er holte sich sein Weinglas aus der Küche und überlegte, ob er ihr auch davon
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