Derek Landy
Erde gewischt wie eine einzelne Träne."
"Weshalb?"
"Weil ihre Zeit um war."
"Wer bist du, dass du darüber entscheiden kannst?"
Die alte Frau hob den Kopf. Ihr Haar fiel zurück und ließ
mehr von ihrem Gesicht erkennen. Doch Walküre sah nur Runzeln und Falten und
ein braun gesprenkeltes Auge, das sie anblinzelte. "Ich bin nicht
diejenige, die darüber entscheidet", antwortete sie. "Aber wer bist
du und warum bist du zu mir gekommen?"
Walküre blickte auf sie herunter und fast hätte ihr Zorn sie
vergessen lassen, weshalb sie hergekommen war. Sie zwang sich zur Ruhe.
"Ich heiße Walküre Unruh. Man hat mir gesagt, dass du mir helfen
könntest."
"Wer hat dir das gesagt?"
"Mein Onkel. Gordon Edgley."
"Gordon!" Die Banshee lächelte. "Ich habe
seit Jahren nichts mehr von ihm gehört. Wie geht es ihm?"
"Er ist tot."
"Sag ihm liebe Grüße, ja?"
"Ich muss meinen Namen versiegeln lassen. Er hat
gesagt, du würdest vielleicht jemanden kennen, der so etwas machen kann."
"Dann kennst du ihn also, deinen wahren Namen?"
"Ja, ich kenne ihn."
"Beeindruckend. Und Gordon hatte recht - ich kenne
jemanden, der tun könnte, was getan werden muss. Sein Name ist Nye - er ist
Arzt und ein recht merkwürdiges Wesen, weder männlich noch weiblich, soviel ich
weiß. Ich würde ihm nicht trauen, aber zum Glück brauche ich das auch nicht.
Ich kann natürlich nicht garantieren, dass Nye sich bereit erklären wird, dir
zu helfen. Seine Zeit wird von Experimenten und ... Forschungsarbeiten in
Anspruch genommen. Kommt darauf an, ob du seine Neugier weckst und wie
beschäftigt der gute Doktor ist, ob er dich zwischenschieben kann oder nicht.
Aber du hast Glück. Ich glaube nämlich ganz sicher, dass du seine Neugier
weckst. Sag, meine Liebe, weißt du, was das Versiegeln deines Namens mit sich
bringt?"
"Ich weiß nur, dass es gefährlich ist."
"Oh, das ist es. Du bist ganz sicher, dass ich es in
die Wege leiten soll?"
Walküre dachte an ihre Mutter, ihren Vater, das Baby, das
unterwegs war. Sie dachte an das, was sie gesehen, und an die Schreie, die sie
gehört hatte. "Ja", antwortete sie.
Die alte Frau wandte sich zum Gehen. "Dann werde ich
mich in Kürze bei dir melden."
"Warte", bat Walküre. "Was bringt es denn mit
sich? Weißt du es?"
Die Todesfee lächelte. "Ich weiß nur, dass du als
Allererstes sterben musst. Sobald du das hinter dir hast, beginnt Nyes
Arbeit."
DAVINA MARR WIRD VERHÖRT
Es war eiskalt an diesem Morgen und Tanith biss die Zähne
zusammen, als sie Skulduggery und Ravel ins Hibernian-Kino folgte. Sie stellte
sich vor, wie es wäre, wenn ihr Lieblings-Outfit wasserdichtes Fleece statt
enges Leder wäre. Ihre Figur würde dann sicher nicht so super zur Geltung
kommen, doch die Bequemlichkeit und Wärme und das schiere Wohlgefühl würden das
mehr als wettmachen. Die Tür öffnete sich und sie gingen durch, hinein in die
relative Wärme des dunklen, stickigen Kinosaals.
Skulduggery hatte Ravel auf der Fahrt das Reden überlassen
und selbst kein Wort gesagt. Tanith wusste, dass ihn die persönliche
Angelegenheit beschäftigte, die für Walküres Verspätung verantwortlich war.
Walküre hatte noch nie persönliche Angelegenheiten über ihren Job gestellt,
zumindest nicht, soweit Tanith wusste, und es war eine beunruhigende
Entwicklung. Damals, als Skulduggery in einer Welt voller Gesichtsloser
gefangen war, hatte Walküre nur einen Gedanken gehabt: ihn zu retten. Doch
danach hatte sie sich, wie es schien, immer wieder ablenken lassen. Ständig
passierte etwas, etwas, worüber sie nicht reden wollte.
Hatte es etwas mit Caelan zu tun? Hatte sie ein schlechtes
Gewissen wegen des Kusses? Steckte mehr dahinter, etwas, das sie Tanith nicht
erzählt hatte? War sie jetzt bei ihm, obwohl sie versprochen hatte, ihn nicht
mehr zu treffen?
Tanith wusste nur zu gut, dass manches in diesem Alter zu
Verwirrungen führen konnte. Sie war auch einmal jung gewesen und sie wusste,
dass die Jugendjahre eines Menschen trotz des offenkundigen Widerspruchs bis
weit über den fünfzigsten Geburtstag hinausreichen konnten. Ihr war es
schließlich erst mit sechzig gelungen, sich einigermaßen unter Kontrolle zu
bekommen.
Jetzt war sie eine adrette junge Frau von dreiundachtzig
Jahren, und obwohl sie immer noch erstaunlich unreif war für ihr Alter, ließ
sie sich nicht mehr so leicht von bösen Buben verführen. Sie war
selbstverständlich immer noch andauernd von ihnen umgeben - bei ihrer Arbeit
hatte sie die freie
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