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Des Abends eisige Stille

Des Abends eisige Stille

Titel: Des Abends eisige Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Hill
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sondern mit einem Krebsopfer. Ihr ganzes Sein war auf ihre Krankheit konzentriert, ihre Zeit und Energie und ihr Antrieb waren zu lange ausschließlich darauf gerichtet gewesen. Sie hatte sich letztlich darüber definiert. Das musste aufhören. Sie zuckte die Schultern und sprang von der Mauer.
    »Ist nicht so wichtig«, sagte sie leichthin, »inzwischen ist das alles vorbei. Ich möchte nur, dass es so bleibt.«
    Lucia besaß die beste Sorte guter amerikanischer Manieren. Sie lächelte, und das Thema wurde fallengelassen.
    »Gehen wir auf die Westseite des Hauses«, sagte sie, »da liegt der perfekte ummauerte Küchengarten … Na ja, die Mauer ist halb zusammengefallen, aber der Garten ist nur überwuchert. Ich möchte so gerne all unsere frischen Sachen selbst anbauen – Gemüse, Salate, Obst, Kräuter. Ich könnte mir sogar vorstellen, einen Laden damit zu eröffnen, wissen Sie, Obst und Gemüse aus organischem Anbau. Mir ist es so wichtig, das Land zu bewahren, mit Respekt zu behandeln. Ich denke, das Land ist nur ein uns anvertrautes Gut, geht es Ihnen nicht auch so? Und weil ich ein Neuankömmling bin, einfach so in Ihr Territorium hineingeplatzt, möchte ich es wirklich pflegen und achten.«
    Wenn das von jemand anderem gekommen wäre, hätte es unecht geklungen.
    »Darauf können wir uns die Hand geben«, erwiderte Karin. »Frische, organische Produkte sind auch meine Leidenschaft. Ein solches Projekt würde ich liebend gern übernehmen.«
    Lucia wandte sich ihr zu, küsste sie auf beide Wangen und tanzte wieder davon.
    Fröhlich gingen sie zu einem zerbrochenen Tor, das in den alten Küchengarten führte. Karin spürte einen Ausbruch von Energie und Erneuerung. Dieser Ort und das Mädchen erfüllten sie mit Enthusiasmus und hochsprudelnder Erregung. Sie merkte, dass sie seit ihrer Ankunft hier kaum mehr an Mikes Abwesenheit oder ihre Krankheit gedacht hatte. Stattdessen hatte sie zu planen und träumen begonnen, und es drängte sie vorwärts.
    Lucia blieb mit dem Schuh an einem Unkrautbüschel hängen, schwankte und fiel hin. Einen kurzen Moment lag sie verblüfft da, dann lachte sie, und während sie lachte, hob sie ihre Beine, zog die Schuhe aus und warf sie in die Luft. Sie drehte sich zu Karin um.
    »Tja, geschieht mir das nicht verdammt recht?«
    Sie lachten beide, dort in der Sonnenwärme, die von den alten Ziegelmauern abstrahlte, bis ihnen die Tränen kamen.

[home]
    52
    L iebling, wie nett! Bleibst du zum Tee?«
    Was immer in ihrer Welt passierte oder der Welt im Allgemeinen, dachte Simon, seine Mutter würde ihr nie etwas anderes zeigen als dieses ruhige, kühle, charmante Gesicht. In ihrem blauen Kaschmirpullover und den dunkelblauen Jeans sah sie so elegant aus wie immer. Ihr Haar war hochgesteckt, Brosche und Kette am richtigen Platz.
    Er nahm sie in die Arme. »Ich glaube, du wirst noch bei der Wiederkunft Christi so aussehen, Ma. ›Liebling, wie nett! Bleibst du zum Tee?‹«
    »Na ja, ich hoffe, ich werde höflich sein, und nenn mich nicht Ma.«
    »Nein, Ma. Hast du Kuchen da?«
    »Wahrscheinlich. Erzähl mir von Marilyn Angus. Ich fand die Sendung schockierend. Wer hat sie denn dazu gebracht?«
    »Sie ist in sehr schlechter Verfassung – was nicht überraschend ist.«
    »Kein Grund, die Polizei auf diese Weise abzukanzeln – natürlich unternehmt ihr alles. Und ich finde diese öffentliche Vorführung von Kummer unerträglich. Also, seid ihr dem Auffinden des kleinen Jungen näher gekommen?«
    »Nein.«
    »Es ist einfach unvorstellbar. Wer hat das getan, Simon?«
    »Ein Perverser … ein Psychopath … ein Zufallsmörder. Ich bin hergekommen, um Tee zu trinken und Kuchen zu essen, Ma.«
    »Liebling, ich weiß, es tut mir leid, ich bin gedankenlos.«
    »Und um dich zu fragen, warum du mich gestern Abend so aufgeregt angerufen hast.«
    Er musterte Meriel genauer. Sie öffnete die Augen weiter.
    »Ich war nicht aufgeregt.«
    »Deine Nachricht klang ein bisschen merkwürdig … panisch?«
    »Wie um alles in der Welt kommst du darauf?«
    »Sag du’s mir.«
    »Ich wollte nur … Ja, nun, ich habe einen Termin für einen kurzen Gottesdienst festgelegt, aber ich wollte es erst mit dir absprechen. Der Stein, der Marthas Urne bedecken soll, ist fertig. Er wird in den Klosterhof hinter der Kathedrale eingelassen … Der Stein ist sehr schlicht. Aus Waliser Schiefer.«
    »Was steht drauf?«
    »Martha Felicity Serrailler, Geburts- und Sterbejahr und dann ›Selig sind, die reinen Herzens

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