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Des Drachens grauer Atem

Des Drachens grauer Atem

Titel: Des Drachens grauer Atem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Thürk
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einen neuen, und ich schlage euch vor, Sinhkat zu wählen. Er ist zwar jung, aber er ist der Mann im Dorf, der das meiste davon versteht, was wir in Zukunft tun müssen."
    Wilkers verfolgte die Debatte', indem er sich von Muchathien das Wichtigste übersetzen ließ. Dies wäre ein interessantes Studienobjekt für einige unserer Gesellschaftspolitiker, dachte der Professor. Hier könnten sie erleben, was sie sonst nur noch aus Überlieferungen kennen. Eine Gesellschaft im Urzustand, mitten in einem Land, das als eines der am höchsten entwickelten in ganz Asien gilt! Eine Dorfgemeinschaft, eine exemplarische Illustration zum Thema Unterentwicklung, bei ihren Anstrengungen, die katastrophale Lage zu überwinden.
    Es ist faszinierend, auf welch einfache Weise hier noch Demokratie praktiziert wird. Das Industriezeitalter mit all seiner Auswirkungen auf das Zusammenleben der Leute scheint weit entfernt zu sein. Jeder arbeitet an den Vorhaben des ganzer Dorfes mit, so gut er kann, und erwirbt damit das Anrecht auf Ernährung. Selbst das konnten die Leute erst beginnen, nach dem jemand mit Bildung sie aufgerüttelt und organisiert hat. Bleibt abzuwarten, ob sie sich gegen das Opiumsyndikat durchsetzen können. Leicht wird das nicht sein. Auch wenn sie es schaffen, werden sie auf lange Zeit nichts weiter erreicht haben j als gerade eine ausreichende Ernährung.
    Wann werden sie daran denken können, den nächsten Schritt zu wagen? Wann werden sich die ersten persönlichen Rechte auf ein Stück bebautes Land und ein paar Geräte herausbilden? Oder wird man bei dieser Art von Gemeinschaftsproduktion bleiben auch dann noch, wenn der Ertrag steigt, wenn sich Überschüsse einstellen, durch deren Tausch oder Verkauf man zusätzliche Geräte oder Düngemittel und Saatgut beschaffen kann? Lässt sich diese Urform der Gemeinschaft innerhalb der sich entwickelnden Industriegesellschaft des Gesamtlandes beibehalten, oder wird es in zwanzig Jahren hier fünf Familien geben denen der größte Teil des Landes zwischen den Hügeln gehört. Denen die Geräte gehören? Wird einer von ihnen einen Laden aufmachen, in dem die anderen Lebensmittel kaufen und Gegenstände des täglichen Bedarfs? Wird er aus dem Erlös des Verkaufs später vielleicht eine Verarbeitungsanlage bauen für die Produkte, die man inzwischen erzeugt? Und wird das, was man jetzt anfängt, schließlich organisch einmünden in die Entwicklung, die das ganze Land nimmt, so dass es eines Tages auch hier Besitzende gibt und Besitzlose, die nur vom Lohn ihrer Arbeit leben können?
    Gleich, wie es weitergeht, sagte sich Wilkers, was diese Leute tun, ist wohl der unvermeidliche, längst fällige Anfang für alles, was sie erreichen können oder was Generationen nach ihnen einmal schaffen. Während der Professor grübelte, hatten sich die Leute für Sinhkat als neuen Dorfvorsteher ausgesprochen. Sie respektierten ihn, weil er sie lehrte, wie man der Natur abringen konnte, was man zum Leben brauchte. Sie hoben die Hände, um für ihn zu stimmen, als keiner mehr etwas zu sagen hatte. So wurde Sinhkat schließlich der neue Dorfvorsteher. Lo Wen beglückwünschte ihn feierlich. Es schien beinahe, als wäre ihm eine unbequeme Last abgenommen worden.
    Es war Mittag. Um diese Zeit ruhten die Leute am Rande der neuen Felder, um ihre Kräfte nicht während der schlimmsten Hitze zu vergeuden. Ich werde mich auf den Weg machen, dachte Wilkers. Ich möchte sehen, wie sie heute den Wassergraben für die Gemüsefelder vollenden. Sinhkat hatte am Morgen verkündet, dass man mit Sonnenuntergang Quellwasser in diesem Kanal haben würde. Der Professor bewegte gewohnheitsgemäß die Finger der linken Hand. Sie war fest mit einem Tuchfetzen umwickelt und lag in der selbst gefertigten Schlinge, die Bambusschienen hatte Wilkers schon entfernt. Der Bruch schien ohne Komplikationen verheilt zu sein, die Finger hatten ihre Beweglichkeit behalten.
    Er ging zu der Behausung Muchathiens zurück und holte seinen Hut. Dann machte er sich auf in die Hügel. Er hatte länger als eine Stunde bergauf zu steigen, ehe er die Männer sehen konnte, die den Kanal zogen. Sinhkat wollte hier eine Rübenart anbauen, die klein war und schnellwüchsig und die überall im Lande gern gegessen wurde. Er hatte den Leuten erzählt, man könne sogar die Blätter als Gemüse genießen, aber nur di jungen, wogegen man die welken, alten Blätter und die Stiel sehr gut als Futter für Schweine verwenden konnte. Wilkers sah, dass die

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