Des Reichtums fette Beute - Wie die Ungleichheit unser Land ruiniert
leisten.
Für den Euroraum gilt das Gleiche auf höherer Ebene. Die Schuldenkrise einzelner Staaten kann nicht von ihnen alleine gemeistert
werden. Alle Mitglieder der Gemeinschaft müssen dafür einstehen. Das hat auch nichts mit der Schuldfrage zu tun, die man gesondert
betrachten muss. Die primäre Verantwortung liegt sicherlich im Fehlverhalten des Finanzsektors. Aber die Krise enthüllte schonungslos
alle wirtschaftspolitischen Fehlleistungen, die dazu beigetragen haben, dass eine so gefährliche Konstellation überhaupt entstehen
konnte. Da ist zum einen die falsche Vorstellung eines in sich stabilen Marktsystems, die von den meisten Ökonomen vertreten
wurde. Dazu gehören auch die fortwährende zunehmende Ungleichheit von Einkommen und Vermögen und schließlich das unseriöse
Wirtschaften einzelner Staaten.
Vor diesem Hintergrund kann die Reaktion vieler Ökonomen und einzelner Wirtschaftspolitiker in Deutschland nicht anders als
zynisch genannt werden, wenn sie mit Blick auf die erhöhte Staatsverschuldung den Staat als wahren Schuldigen benennen. Das
ist eine völlige Verdrehung von Ursache und Wirkung. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Es gibt derzeit keine staatliche Schuldenkrise,
sondern der Staat sitzt auf den Schulden der Krise.
Umso drängender stellt sich mir die Frage, wie diese Krise überwunden werden kann und wie die Staaten ihre Schulden wieder
loswerden. Noch wichtiger ist die Erkenntnis, dass sich die Wirtschaftspolitik vor allem in Deutschland grundlegend ändern
muss, wenn wir die nächste Krise verhindern wollen. Eine neue Krise träfe auf einen geschwächten Staat, eine finanziell ausgezehrte
Gesellschaft, die eine solche Herausforderung wohl kaum bewältigen könnte. Eine Zeitenwende in der Wirtschaftpolitik ist vonnöten.
Es bedarf einer neuen gesamtwirtschaftlichen Ordnung.
|178| Das Steuer herumreißen
Scio nescio
(Ich weiß, dass ich nichts weiß)
Sokrates
Prinzipien einer künftigen gesamtwirtschaftlichen Ordnung
Die gesamtwirtschaftliche Politik des vergangenen Jahrzehnts ist gescheitert. Die Rückkehr zu ihren Prinzipien wäre wie die
Aussaat für eine neue Krise. Die bittere Ernte würde folgen. Dennoch erwecken viele Ökonomen und Politiker in Deutschland
gerne den Eindruck, eine solche grundlegende Änderung sei überflüssig. Nach der Krise, die gemäß ihrer Logik einen einmaligen
Ausnahmefall darstellte, der besondere Reaktionen erforderte, könne man getrost zum üblichen Verhalten der Vorkrisenzeit zurückkehren.
Man müsse sogar noch härter an den Prinzipien der Vergangenheit festhalten. Das bezieht sich vor allem auf die Aktivitäten
des Staates – sie müssen aus der Sicht der Vergangenheitsanhänger in ein noch engeres und härteres Korsett gezwängt werden,
um die überaus hohen Staatsschulden wieder in den Griff zu kriegen. Schließlich habe man über seine Verhältnisse gelebt und
müsse nun den Gürtel entsprechend enger schnallen – eine Binsenweisheit folgt der anderen. Und das Schlimmste ist: So in etwa
sieht die makroökonomische Strategie der gegenwärtigen Regierung aus. Und ich füge ungern hinzu: So in etwa beginnt der Weg
in die künftige Krise.
Um genau das zu verhindern, muss man sich vom Gewohnten lösen und Neues, aber auch Altes wieder neu wagen. Was ich damit meine?
Das würde ich gerne an einem Bild verdeutlichen. Die Wirtschaft |179| und die Wirtschaftspolitik müssen aus einer anderen Perspektive und mit einer anderen Einstellung gesehen werden – ich spreche
von einer gesamtwirtschaftlichen Optik. Mit dem Blick durch eine neue Brille erkennt man Neues und sogar Altes neu. In jedem
Fall schärft sich der Blick für das Notwendige, und genau darauf kommt es jetzt an, damit in Zukunft die Wahrscheinlichkeit
schwerer Krisen sinkt. Was wir dafür tun können, ist Thema dieses Kapitels.
Oberstes Gebot: wirtschaftliche Stabilität
Das erste und wichtigste Prinzip für eine neue wirtschaftspolitische Perspektive lautet: Stabilität. Um Stabilität zu erreichen,
müssen wir das wirtschaftliche Geschehen als fundamental unsicher ansehen und wissen, dass es destabilisierende Euphorie-
und Panikwellen geben kann. Die künftige wirtschaftliche Entwicklung ist prinzipiell nicht vorhersehbar, und so kann man folglich
auch nicht mit einer stabilisierenden Erwartungsbildung rechnen.
Vor diesem Hintergrund muss die künftige Wirtschaftspolitik einen Gegenpol zur privatwirtschaftlichen
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