Des Teufels Alternative
Maas Control, hier ›Freya‹. Bitte kommen.«
Der Supertanker meldete sich auf Kanal 20, dem für Tanker reservierten Sprechfunkkanal. Dijkstra beugte sich vor und schaltete das Mikrofon auf dem Pult vor sich ein.
›»Freya‹, hier Maas Control. Was können wir für Sie tun?«
»Maas Control, hier Kapitän Thor Larsen. Wo befindet sich das Boot mit meinen Riggern?«
Dijkstra warf einen Blick auf die vor ihm liegende Kladde.
»Das Boot ist vor gut eineinhalb Stunden ausgelaufen, Captain. Es müßte in zwanzig Minuten bei Ihnen sein.«
Die nächsten Worte aus dem Lautsprecher ließen Dijkstra in seinem Sessel hochfahren.
»Maas Control, hier ›Freya‹. Nehmen Sie sofort Verbindung mit dem Boot auf. Es soll in den Hafen zurücklaufen. Wir können die Mannschaft nicht an Bord lassen. Verständigen Sie auch die Maaslotsen, damit sie nicht mit dem Hubschrauber starten, ich wiederhole, nicht starten. Wir können sie nicht an Bord lassen. Es handelt sich um einen Notfall, ich wiederhole, um einen Notfall.«
Dijkstra deckte mit der Hand sein Mikrofon für einen Augenblick ab und rief einem Kollegen zu, er solle das Aufnahmegerät einschalten. Als es lief, sagte Dijkstra langsam und deutlich:
»›Freya‹, hier Maas Control. Ich habe verstanden, daß die Anlegemannschaft nicht längsseits gehen soll. Ich habe verstanden, daß die Lotsen nicht abfliegen sollen. Bestätigen Sie bitte.«
»Maas Control, hier ›Freya‹. Sie haben richtig verstanden.«
»Um was für einen Notfall handelt es sich, ›Freya‹?«
Für ein paar Sekunden trat Stille ein, als finde auf der Brücke der Freya weit draußen auf See eine hastige Beratung statt. Schließlich hallte Larsens Stimme wieder aus dem Lautsprecher der Leitstelle.
»Maas Control, ich kann Ihnen jetzt keine Einzelheiten mitteilen. Sollte jedoch irgend jemand versuchen, sich der ›Freya‹ zu nähern, gibt es hier Tote. Halten Sie sich bitte fern. Nach diesem Gespräch sind wir auch nicht mehr über Funk zu erreichen. Wir melden uns wieder um Punkt neun Uhr. Bitte veranlassen Sie, daß dann der Rotterdamer Hafendirektor anwesend ist. Ende.«
Ein scharfes Klicken war zu vernehmen, dann schwieg der Lautsprecher.
Dijkstra rief die Freya noch zwei- oder dreimal. Aber sie antwortete nicht mehr, und er gab es schließlich auf.
»Was zum Teufel hat er damit gemeint?« Dijkstra sah zu seinem Kollegen hinüber. Jan Schipper zuckte mit den Schultern.
»Die Sache kommt mir nicht geheuer vor«, sagte er. »Es klang, als ob Kapitän Larsen in Gefahr sei.«
»Er hat gesagt, daß es Tote geben könne«, Dijkstra überlegte laut. »Wieso Tote? Ist an Bord eine Meuterei ausgebrochen? Oder läuft jemand Amok?«
»Am besten tun wir, was er verlangt hat, bis wieder Klarheit herrscht«, schlug Schipper vor.
»Du hast recht«, stimmte Dijkstra zu. »Du verständigst den Direktor, und ich informiere das Boot und die beiden Lotsen in Schiphol.«
Die Barkasse mit den Riggern tuckerte mit einer gleichmäßigen Geschwindigkeit von zwölf Knoten über das ruhige Meer auf die noch drei Seemeilen entfernte Freya zu. Selbst aus dieser Entfernung wirkte der Supertanker bereits imposant, und die zehn Holländer, die helfen sollten, die Freya an ihren Liegeplatz zu bringen, reckten schon jetzt die Hälse nach ihr.
Keiner der Männer ahnte etwas, als ihr Boot über Funk angerufen wurde. Der Rudergänger meldete sich und lauschte kurz in den Hörer. Stirnrunzelnd schaltete er den Schiffsmotor aus und ließ sich die Anweisung wiederholen. Dann bestätigte er sie, legte das Ruder hart Steuerbord und brachte das Boot auf Gegenkurs.
»Wir kehren um«, erklärte er den Männern, die ihn verblüfft anstarrten. »Irgend etwas scheint passiert zu sein. Es sieht so aus, als könne euch Kapitän Larsen im Moment nicht brauchen.«
Die Freya blieb achteraus an der Kimm zurück, als das Boot wieder Kurs auf Hoek van Holland nahm.
Auf dem Flughafen Schiphol südlich von Amsterdam gingen die beiden Lotsen zu dem Hubschrauber der Hafenbehörde, der sie an Bord des Tankers bringen sollte. Es war ein Routineflug für sie; Hubschrauber hatten die Lotsenversetzdampfer längst verdrängt.
Der Erste Lotse, ein grauhaariger Mann, der ao Jahre lang zur See gefahren war, das Patent als Kapitän auf Großer Fahrt besaß und seit 15 Jahren Maaslotse war, trug seinen »braunen Kasten«, ein Instrument, mit dessen Hilfe er die Freya bis auf einen Meter Wassertiefe genau steuern konnte. Er würde seinen Kasten
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