Des Teufels Alternative
Larsen«, sagte er ins Mikrofon. »Noch etwas?«
»Ja«, antwortete die tiefe Stimme. »Die Verbindung zur ›Freya‹ wird jetzt bis zwölf Uhr unterbrochen. Ich melde mich dann wieder und möchte den holländischen Ministerpräsidenten und den westdeutschen Botschafter sprechen. Beide müssen persönlich anwesend sein. Das ist vorerst alles.«
Auf der Brücke der Freya nahm Drake dem Kapitän den Hörer aus der Hand und legte ihn auf. Dann machte er dem Norweger ein Zeichen, in seine Kabine zurückzukehren. Als sie wieder den breiten Tisch zwischen sich hatten, legte Drake seine Pistole aus der Hand und lehnte sich zurück. Dabei rutschte sein Pullover etwas nach oben, und Larsen sah den todbringenden Oszillator an dem Gürtel des Terroristen.
»Was tun wir jetzt?« fragte der Kapitän.
»Wir warten, während Europa allmählich durchdreht.«
»Ihnen ist klar, daß Sie nicht lebend davonkommen? Es ist Ihnen zwar gelungen, an Bord zu kommen, aber Sie können nicht mehr fort. Ihre Forderungen wird man möglicherweise erfüllen – aber wenn Sie das Schiff verlassen wollen, wird man Sie abfangen.«
»Ja, ich weiß«, sagte Drake. »Aber es macht mir nichts aus, zu sterben. Ich werde natürlich um mein Leben kämpfen, aber man wird mich töten – und ich werde töten, ehe ich es zulasse, daß mein Plan durchkreuzt wird.«
»Liegt Ihnen so viel an der Befreiung dieser beiden Männer in Westberlin?« fragte Larsen.
»Ja!« Ich kann Ihnen den Grund dafür nicht angeben, und wenn ich’s täte, würden Sie ihn nicht verstehen. Hören Sie, die Menschen in meiner Heimat werden seit Jahrzehnten unterdrückt, verfolgt, eingesperrt, ermordet. Die Weltöffentlichkeit hat sich einen Dreck darum gekümmert! Jetzt drohe ich damit, einen einzigen Mann zu erschießen oder Westeuropa am Geldbeutel zu treffen und Sie werden sehen, was das für ein Aufsehen gibt! Plötzlich droht eine Katastrophe. Aber die eigentliche Katastrophe geschieht nicht hier, jedenfalls sehe ich das nicht so – sie geschieht in meiner Heimat!«
»Wovon träumen Sie?« wollte Larsen wissen.
»Von einer freien Ukraine«, sagte Drake einfach. »Aber das läßt sich nur verwirklichen, wenn Millionen von Menschen sich erheben.«
»In der Sowjetunion?« fragte Larsen. »Ausgeschlossen! Dazu kommt es nie!«
»Es könnte dazu kommen«, widersprach Drake. »Denken Sie an die Aufstände in der DDR, in Ungarn und der Tschechoslowakei! Aber bevor es dazu kommt, müssen diese Menschen davon überzeugt werden, daß ihre Unterdrücker nicht unbesiegbar sind. Ist das geschehen, kann der Sturm losbrechen.«
»Kein Mensch wird Ihnen glauben«, sagte Larsen.
»Kein Mensch im Westen, da haben Sie recht. Es ist eigenartig: Hier glaubt niemand, daß meine Rechnung aufgeht – aber der Kreml weiß, daß sie stimmt.«
»Und für diesen … Volksaufstand sind Sie bereit, Ihr Leben zu opfern?« fragte Larsen.
»Ja, wenn es sein muß. Es geht um meinen Traum. Ich liebe dieses Land und dieses Volk mehr als mein Leben. Das ist mein Vorteil: Hier gibt es im Umkreis von hundert Meilen keinen einzigen Menschen, der irgend etwas mehr liebt als sein Leben.«
Vierundzwanzig Stunden zuvor hätte Thor Larsen diesem Fanatiker vielleicht noch zugestimmt. Aber inzwischen war in dem bedächtigen Norweger eine Veränderung vorgegangen, die ihn selbst überraschte. Zum erstenmal in seinem Leben haßte er einen Menschen so sehr, daß er ihn am liebsten getötet hätte. Dein ukrainischer Traum ist mir egal, Mr. Swoboda, dachte er voll Zorn. Ich lasse nicht zu, daß du dafür meine Leute und mein Schiff opferst.
In Felixstowe an der Küste von Suffolk stand der Wachhabende der Küstenwache rasch vom Funkgerät auf und griff nach dem Telefon auf seinem Schreibtisch.
»Geben Sie mir das Umweltministerium in London«, befahl er der Telefonistin.
»Menschenskind, die Holländer sitzen ganz schön in der Patsche!« meinte sein Kollege, der ebenfalls das Gespräch zwischen der Freya und Maas Control mitgehört hatte.
»Nicht nur die Holländer«, widersprach der andere. »Sieh dir bloß die Karte an!«
An der Wand hing eine riesige Seekarte, die den südlichen Teil der Nordsee und das Nordwestende des Kanals zeigte. Gegenüber der Küste von Suffolk lag die Maasmündung. Der Wachhabende hatte in der Nacht den Ankerplatz der Freya mit Filzschreiber markiert: Er lag genau in der Mitte zwischen den beiden Küsten.
»Falls der Tanker hochgeht, ist die Küste zwischen Hull und Southampton
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