Des Teufels Alternative
Drogenhandel in entgegengesetzter Richtung verlief – vom Balkan nach Frankreich und England –, waren die Zollkontrollen in Dover und Calais eine bloße Formsache.
Am Steuer saß Asamat Krim mit seinem kanadischen Paß und einem internationalen Führerschein. Neben ihm saß Miroslaw Kaminski mit neuen, wenn auch nicht ganz legal erworbenen britischen Papieren.
Kapitel 6
In der Nähe der Uspenskojer Brücke über die Moskwa liegt das Restaurant Russische Isba. Es ist im Stil der Isbas, der russischen Holzbauernhäuser, gehalten. Die Innen- und Außenwände bestehen aus Kieferbrettern, die an Holzpfosten genagelt sind. Die Ritzen und Spalten werden mit Lehm aus dem Fluß abgedichtet.
Die Isbas sehen recht primitiv aus und sind es, was die sanitären Anlagen betrifft, auch oft; aber sie halten in den eisigen russischen Wintern die Wärme besser als alle Beton- und Ziegelbauten. Das Isba -Restaurant, in ein Dutzend kleiner Speisezimmer unterteilt, ist innen warm und gemütlich. Im Gegensatz zu den Angestellten der Moskauer Restaurants erhält hier das Personal eine Gewinnbeteiligung in Form von Prämien. Das bewirkt einen starken Kontrast zu den durchschnittlichen russischen Lokalen: Das Essen ist gut und wird schnell und zuvorkommend serviert.
Hier hatte sich Adam Munro für Samstag, den 4. September, mit Walentina verabredet. Sie hatte sich von einem Bekannten zum Abendessen einladen lassen und vorgeschlagen, in dieses Restaurant zu gehen. Munro hatte eine der Sekretärinnen aus der Botschaft eingeladen und einen Tisch auf ihren Namen reservieren lassen. Aus dem Verzeichnis der Tischreservierungen war auf diese Weise weder Munros noch Walentinas Anwesenheit an diesem Abend abzulesen.
Sie aßen in verschiedenen Speisezimmern, entschuldigten sich um Punkt 21 Uhr bei ihren Begleitern, auf die Toilette gehen zu müssen, verließen ihre Tische und trafen sich auf dem Parkplatz. Munro, dessen Wagen wegen des CD-Schildes und dem Botschaftskennzeichen für einen Treff zu auffällig war, folgte Walentina zu ihrem Schiguli. Walentina war sichtlich bedrückt und rauchte hastig eine Zigarette.
Munro kannte von seinen früheren Informanten die ständige Anspannung, die nach einigen Wochen voller Vorwände und Täuschungsmanöver an den Nerven zu zerren beginnt.
»Es hat geklappt«, sagte sie schließlich. »Vor drei Tagen. Das Protokoll der Sitzung Anfang Juli. Ich wäre beinahe erwischt worden.«
Munro nickte nervös. Er war sich darüber im klaren, daß im Moskauer politischen Apparat niemand wirkliches Vertrauen genoß – auch wenn Walentina sich einbildete, innerhalb der Partei eine Vertrauensstellung zu bekleiden. Sie balancierten beide auf einem Drahtseil – wobei er seine diplomatische Immunität als Netz hatte.
»Was ist passiert?« fragte er.
»Jemand kam in den Raum. Ein Wachtposten. Ich hatte eben das Kopiergerät abgestellt und saß gerade wieder an meiner Schreibmaschine. Er war sehr freundlich. Aber er lehnte sich gegen das Kopiergerät. Das war noch warm. Ich glaube nicht, daß der Mann etwas gemerkt hat. Aber ich habe Angst gehabt. Und das war nicht das einzige, was mir Angst eingejagt hat. Ich konnte das Protokoll erst zu Hause lesen – vorher habe ich es nur so schnell wie möglich fotokopiert. Adam, es … es ist schrecklich!«
Sie schloß das Handschuhfach auf und nahm einen dicken Umschlag heraus, den sie Munro gab. Die Übergabe ist im allgemeinen der Augenblick, in dem die Beschatter zugreifen – der Augenblick, in dem Schritte im Kies knirschen, Türen aufgerissen und Insassen herausgezerrt werden. Aber nichts dergleichen geschah.
Munro sah auf seine Uhr. Fast zehn Minuten. Zu lange. Er steckte den Umschlag in die Innentasche seiner Jacke.
»Ich will versuchen, die Erlaubnis zu bekommen, dich herauszuholen«, sagte er. »So kannst du nicht mehr lange weitermachen. Andererseits kannst du nicht einfach in dein früheres Leben zurückkehren. Nicht mit dem, was du weißt. Und ich kann nicht so weiterleben, weil ich weiß, daß du in der Stadt und in Gefahr bist – und daß wir uns lieben. Ich habe nächsten Monat Urlaub. Sobald ich in London bin, kümmere ich mich darum.«
Diesmal widersprach Walentina nicht – ein erstes Anzeichen dafür, daß ihre Kräfte zu schwinden begannen.
»Einverstanden«, sagte sie. Wenige Sekunden später hatte die Dunkelheit zwischen den Autos sie verschluckt. Munro sah sie vor dem beleuchteten Restauranteingang auftauchen und in der Isba verschwinden.
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