Des Teufels Alternative
mit unverbrüchlicher Solidarität daran festgehalten werden, daß der Genosse Iwanenko einen schweren Herzanfall erlitten hat und auf einer Intensivstation liegt. Über einen Punkt müssen wir uns klar sein: Die Sowjetunion kann und wird es nicht zulassen, wegen des Vorfalls in der Rosa-Luxemburg-Straße von der ganzen Welt gedemütigt zu werden. Bei uns gibt es keine Lee Harvey Oswalds und wird es nie welche geben!«
Die anderen murmelten zustimmend. Sie waren sich mit Rudin darüber einig, daß eine Demütigung dieser Art für die Sowjetunion untragbar wäre.
»Aber es war eine Waffe aus dem Westen, nicht wahr?« erkundigte Schuschkin sich. »Kann der Westen hinter dem Attentat stehen?«
»Das halte ich für nahezu ausgeschlossen«, antwortete Außenminister Rykow. »Keine westliche Regierung, keine Regierung der Dritten Welt wäre so verrückt, ein derartiges Verbrechen zu unterstützen. Wir haben schließlich auch nichts mit der Ermordung Kennedys zu tun gehabt. Vielleicht stehen dahinter Emigranten. Vielleicht sowjetfeindliche Fanatiker. Aber keine Regierung.«
»Wir ermitteln auch gegen Emigrantengruppen im Ausland«, berichtete Petrow. »Natürlich diskret. In die meisten Gruppen haben wir längst unsere Leute eingeschleust. Bisher ist noch nichts gemeldet worden. Das Gewehr, die Munition und der Bildverstärker stammen aus dem Westen und sind dort ohne Einschränkungen im Handel erhältlich. Zweifellos sind sie in die Sowjetunion geschmuggelt worden. Das bedeutet, daß die Attentäter sie selbst, hereingeschmuggelt oder Hilfe von außen erhalten haben. General Abrassow ist wie ich der Ansicht, daß wir als erstes die Täter fassen müssen. Sie werden uns dann schon ihre Lieferanten verraten. Alles Weitere übernimmt die Fünfte Hauptverwaltung.«
Jefrem Wischnajew hörte aufmerksam zu, ohne sich jedoch an der Diskussion zu beteiligen. An seiner Stelle brachte Kerenski die Unzufriedenheit der Dissidentengruppe zum Ausdruck. Aber weder er noch Wischnajew versuchten, erneut über die Castletown-Konferenz oder einen Krieg im Frühjahr 1983 abstimmen zu lassen. Sie waren sich darüber im klaren, daß bei Stimmengleichheit die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag gab. Rudin war seinem Sturz einen Schritt näher gekommen, aber noch war er nicht gefallen.
Das Politbüro einigte sich darauf, dem KGB und den oberen Ebenen des Parteiapparats mitzuteilen, Juri Iwanenko habe einen Herzanfall erlitten und liege im Krankenhaus. Sobald die Mörder gefaßt und mitsamt ihren Komplicen liquidiert waren, konnte Iwanenko in aller Stille einem Herzschlag erliegen.
Rudin wollte eben seine Mitarbeiter und die Stenografen hereinrufen, um die Sitzung offiziell zu eröffnen, als Stepanow, der ursprünglich für Rudin und Verhandlungen mit den USA gestimmt hatte, die Hand hob.
»Genossen, ich würde es als schwere Niederlage für unser Land ansehen, wenn es Juri Iwanenkos Mördern gelingen sollte, ins Ausland zu fliehen und dort ihre Tat zu verkünden. Sollte das geschehen, könnte ich nicht länger die Politik der Verhandlungen und der Abrüstungskonzessionen als Gegenleistung für amerikanisches Getreide unterstützen. Ich würde dann für den Vorschlag des Genossen Wischnajew stimmen.«
Totenstille.
»Ich auch«, sagte Schuschkin.
Acht zu vier, dachte Rudin, während er ausdruckslos über den Konferenztisch sah. Acht zu vier, wenn diese beiden Scheißkerle jetzt überlaufen!
»Ich nehme das zur Kenntnis, Genossen«, sagte er ungerührt. »Aber die Öffentlichkeit wird nichts erfahren. Absolut nichts!«
Zehn Minuten später wurde die Sitzung mit dem allgemeinen Ausdruck des Bedauerns über die plötzliche Erkrankung des Genossen Iwanenko offiziell eröffnet. Danach begann die Diskussion über die neuesten Zahlen der diesjährigen Getreideernte.
Jefrem Wischnajews SIL-Limousine schoß aus dem Borowitski-Tor in der Südwestecke des Kremls geradeaus über den Manegeplatz. Der Verkehrspolizist auf dem Platz, der über Sprechfunk benachrichtigt worden war, daß die Politbüromitglieder den Kreml verließen, hatte den gesamten Verkehr gestoppt. Sekunden später rasten die langen, schwarzen Wagen die Frunzestraße entlang, am Verteidigungsministerium vorbei zu den Luxuswohnungen am Kutusow-Prospekt.
Im letzten Wagen saß Marschall Kerenski neben Wischnajew, der ihn eingeladen hatte, mit ihm zu fahren. Die Trennscheibe zwischen dem geräumigen Fond und dem vorderen Teil war schalldicht geschlossen. Vorhänge schützten vor
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