Des Teufels Alternative
den neugierigen Blicken der Passanten.
»Er wackelt schon«, knurrte Kerenski.
»Nein«, sagte Wischnajew, »er ist dem Sturz einen Schritt näher gekommen und ohne Iwanenko viel schwächer, aber er fällt noch lange nicht. Du darfst Maxim Rudin nicht unterschätzen. Er wird wie ein in die Enge getriebener Bär kämpfen, bevor er unterliegt aber er wird fallen, weil er fallen muß!«
»Uns bleibt nicht mehr viel Zeit«, stellte Kerenski fest.
»Weniger Zeit als du denkst«, antwortete Wischnajew. »In Wilna ist es in der letzten Woche wegen Lebensmittelknappheit zu Unruhen gekommen. Unser Freund Witautas, der im Juli für uns gestimmt hat, wird allmählich nervös. Er wollte schon die Seiten wechseln, obwohl ich ihm eine sehr attraktive Villa neben meiner eigenen in Sotschi angeboten habe. Jetzt hält er wieder zu uns, und Schuschkin und Stepanow stimmen vielleicht beim nächsten Mal ebenfalls zu unseren Gunsten.«
»Aber nur wenn die Mörder entkommen oder das Attentat im Ausland bekannt wird«, wandte Kerenski ein.
»Richtig. Und genau das muß passieren.«
Kerenski wandte sich abrupt dem Theoretiker zu, und sein rosiges Gesicht unter der weißen Mähne lief ziegelrot an.
»Wir sollen die Wahrheit preisgeben? Sie der ganzen Welt enthüllen? Das können wir nicht!« explodierte er.
»Richtig, das können wir nicht. Es gibt zu wenig Eingeweihte, und mit vagen Gerüchten läßt sich nichts ausrichten. Sie könnten zu leicht widerlegt werden. Ein Schauspieler, der genau wie Iwanenko aussieht, könnte gefunden, ausgebildet und zu öffentlichen Auftritten geschickt werden. Deshalb müssen andere uns diese Arbeit abnehmen. Sie müssen stichhaltige Beweise vorlegen. Iwanenkos Leibwächter sind in den Händen der Kremlgarde. Folglich bleiben nur die Mörder selbst übrig.«
»Aber wir wissen nicht, wo sie sich verstecken«, sagte Kerenski, »und werden sie auch nicht finden. Das KGB erwischt sie früher.«
»Wahrscheinlich, aber wir sollten es wenigstens versuchen«, sagte Wischnajew. »Über eines müssen wir uns im klaren sein, Nikolai: Wir kämpfen nicht mehr um die Herrschaft über die Sowjetunion. Wir kämpfen um unser Leben, wie Rudin und Petrow. Zuerst die Mißernte, jetzt das Attentat auf Iwanenko. Noch ein Skandal, Nikolai, nur noch ein einziger, dann stürzt Rudin, selbst wenn er keine Schuld tragen sollte. Es muß noch einen weiteren Skandal geben. Wir müssen dafür sorgen, daß es dazu kommt.«
Thor Larsen stand in Overall und Schutzhelm in der Kabine eines Portalkrans hoch über dem Trockendock im Zentrum der Ischikawajima-Harima-Werft und sah auf den gigantischen Schiffsleib hinab, der eines Tages die Freya sein würde.
Selbst drei Tage nach der ersten Besichtigung verschlug ihre Größe ihm noch immer den Atem. Als er ausgebildet worden war, hatte es keine Tanker über 30 000 Tonnen gegeben; erst 1956 war ein Tanker mit höherer Tragfähigkeit in Dienst gestellt worden. Für solche Schiffe mußte eine eigene Klasse gefunden werden: die der Supertanker. Als dann die 50 000-Tonnen-Grenze durchbrochen wurde, ging es wieder darum, eine neue Klasse zu gründen: die der VLCC, der Very Large Crude Carriers. Und als Ende der sechziger Jahre auch die 200 000-Tonnen-Grenze überschritten wurde, war die neue Klasse der ULCC, der Ultra Large Crude Carriers, entstanden.
Auf See war Larsen einmal einem der französischen 550 000-Tonnen-Giganten begegnet. Die Besatzung war an Deck zusammengelaufen, um den Riesen zu bewundern. Das Schiff, das jetzt unter ihm lag, würde doppelt so groß werden. Wennerström hatte recht, wenn er sagte, die Welt habe so etwas noch nie gesehen und werde es auch nie wieder zu sehen bekommen.
Die Freya war 515Meter lang und von Speigatt zu Speigatt 90 Meter breit. Ihre Aufbauten ragten fünf Stockwerke hoch in die Luft. Vom Deck, von dem er einen Ausschnitt sehen konnte, maß ihr Rumpf 36 Meter bis zum Kiel, der den Boden des Trockendocks berührte. Jeder ihrer sechzig Tanks war größer als ein Filmtheater. In ihrem Rumpf, unter den Aufbauten, waren bereits die vier Dampfturbinen eingebaut worden, die insgesamt 90 000WPS abgaben und nun bereitstanden, um die Doppelschrauben anzutreiben, deren sechs Meter hohe Bronzeflügel undeutlich unter dem Heck zu erkennen waren.
Über den Rumpf der Freya krochen ameisengleich Gestalten: Die Werftarbeiter verließen für kurze Zeit das Schiff, während das Dock vollief. Sie hatten fast auf den Tag genau zwölf Monate an
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