Des Teufels Kardinal
linken Wand hinüber.
Noch immer nichts.
Er beugte sich nach vorn und schaltete den Suchscheinwerfer aus, so daß es im Kanal dunkel wurde. Dann wartete er. Zwanzig Sekunden. Dreißig Sekunden. Eine Minute.
Nun schwenkte er das Mikrofon nochmals. Von links nach rechts.
Und wieder zurück. Und erneut zurück.
298
»…warten…«
Kind erstarrte, als das hochempfindliche Mikrofon Harry Addisons Flüstern auffing, und wartete auf mehr.
Nichts.
Er schwenkte das Mikrofon langsam zurück.
»…und ohne Tropf…«, flüsterte Schwester Elena Voso ebenso leise wie der Amerikaner.
Sie waren dort. Irgendwo in der Dunkelheit vor ihm.
Villa Lorenzi.
Zur selben Zeit
In dem hellen Sonnenschein in Edward Moois Schlafzimmer kniff Roscani die Augen zusammen. Die Spurensicherer waren noch im Bad beschäftigt. Im Waschbecken waren Blutspuren, auf dem Boden die vagen Umrisse eines nackten Fußes entdeckt worden.
Niemand hatte den Dichter mehr gesehen, seit er nach Roscanis überfallartiger Durchsuchungsaktion am frühen Morgen ins Verwalterhaus zurückgekehrt war. Keiner der Gärtner, niemand vom Hauspersonal, keiner der zehn Carabinieri, die hier Wache hielten. Genau wie Barbus Motorboot schien Mooi sich in Luft aufgelöst zu haben.
Vom Fenster aus sah Roscani zwei ihrer Polizeiboote auf dem See.
An Bord des einen befand sich Castelletti, der die auf dem Wasser weitergehende Suche koordinierte. Scala, der bei den Alpinis gedient hatte, war mit einem halben Dutzend bergerfahrener Carabinieri von der Villa Lorenzi aus am Seeufer entlang nach Süden unterwegs.
Nach Norden hatte Mooi sich vermutlich nicht gewandt, weil er dort nach Bellagio gekommen wäre, wo er überall bekannt war. Deshalb hatte Scala die südliche Route gewählt, auf der man ein Motorboot in den fast zugewachsenen kleinen Buchten so verstecken konnte, daß es weder vom Wasser noch aus der Luft zu sehen war.
Roscani wandte sich vom Fenster ab, verließ den Raum und trat eben in den Flur hinaus, als ein Carabiniere zu ihm kam. Er grüßte und übergab ihm einen dicken Umschlag. Roscani riß ihn auf und blätterte den Inhalt durch. Das Deckblatt trug den Absender International Criminal Police Organization mit dem vertrauten Interpol-299
Wappen darunter, während die einzelnen Seiten mit Urgentissimo gestempelt waren.
Dieser Stapel Papier war das Ergebnis seiner Anfrage in Lyon mit der Bitte um Informationen über den vermutlichen Aufenthaltsort bekannter Terroristen sowie die Persönlichkeitsprofile von Berufskil-lern, die sich zur Zeit in Europa aufhielten.
Mit diesen Blättern in der Hand warf Roscani einen Blick in das Zimmer, das er eben verlassen hatte. Während er Edward Moois achtlos auf das Bett geworfenen Bademantel betrachtete und die im Bad arbeitenden Spurensicherer beobachtete, hatte er plötzlich das Gefühl, sie seien zu spät dran. Der Mann mit dem Eispicker war ihnen zuvorgekommen.
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Harry hörte den Bootsrumpf in der Dunkelheit die Felswände ent-langschrammen und wußte, daß der Blonde das Motorboot mit den Händen den Kanal entlang auf sie zuschob. Woher wußte er, daß sie hier waren? Wie konnte er in diesem kilometerlangen Labyrinth so nahe sein? Der kurze Blick auf das vorbeifahrende Boot hatte Harry gezeigt, daß Salvatore sich anscheinend in der Gewalt dieses Mannes befand. Aber selbst, wenn das nicht der Fall gewesen und er freiwillig mitgekommen wäre, hätte der Blonde unmöglich wissen können, wo sie sich genau befanden. Und trotzdem war er jetzt nur noch wenige Meter vom Eingang ihres Verstecks entfernt.
Ihr einziger Vorteil – falls sie überhaupt einen Vorteil hatten – war die Tatsache, daß die in den Kanal hinausragenden Felsen den Höhleneingang weitgehend tarnten. Elena hatte ihn im Streulicht des Suchscheinwerfers nur zufällig entdeckt. Ohne dieses Licht wäre er nur als Schatten eines Felsvorsprungs, als dunkler Fleck dicht über dem Wasserspiegel erschienen.
Wieder das Geräusch, näher als zuvor. Ein Holz- oder GFK-Rumpf schrammte die Felsen entlang. Dann noch näher. Als danach eine Pause entstand, war Harry sich sicher, daß das Motorboot vor der Höhleneinfahrt lag. So nahe, daß Elena es vom Heck ihres Boots aus in der nachtschwarzen Finsternis mit der ausgestreckten Hand hätte berühren können.
Harry hielt den Atem an. Seine Sinne waren aufs äußerste ange-spannt, jeder Nerv kribbelte wie elektrisiert, und sein Herz dröhnte bei jedem Schlag. Bestimmt erging es Elena nicht anders,
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