Des Teufels Kardinal
mithel-fen, deren Zahl noch immer stieg.
Palestrinas Blick streifte die Telefone neben seinem Ellbogen. Er wußte, daß Pierre Weggen in diesem Augenblick in Peking ein Gespräch unter Freunden mit Yan Yeh führte. Ohne sich im geringsten anmerken zu lassen, daß diese Idee nicht von ihm stammte, würde Weggen dabei Palestrinas Plan zur Erneuerung aller Wasserversorgungssysteme Chinas erläutern. Palestrina vertraute darauf, daß der Ruf des Schweizer Investmentbankers und seine langjährige Geschäftsfreundschaft mit dem Präsidenten der Volksbank von China bewirken würden, daß der chinesische Bankier diesen Vorschlag aufgriff und ihn direkt mit dem Vorsitzenden der KP besprach.
Sobald diese Besprechung mit den üblichen Höflichkeitsfloskeln zu Ende gegangen war, würde Weggen ihn anrufen, um ihm das Ergebnis mitzuteilen. Palestrina sah zu seinem Bett hinüber. Eigentlich hätte er schlafen sollen, aber er wußte, daß das unmöglich war. So stand er auf, ging ins Ankleidezimmer und zog den schwarzen Anzug mit Priesterkragen an. Kurze Zeit später verließ er seine Privat-gemächer.
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Er benutzte einen Lastenaufzug und fuhr damit ungesehen ins Erdgeschoß, wo er durch einen Nebenausgang in die dunklen vatikanischen Gärten hinaustrat.
Dort wanderte er etwa eine Stunde, tief in Gedanken versunken, umher. Über die Viale del Giardino Quadreto zur Viale Centrale del Bosco, und wieder zurück, wobei er einige Zeit vor dem von Giovanni Vasanzio geschaffenen Adlerbrunnen stehenblieb. Der den Brunnen beherrschende mächtige Adler, das Wappentier der Borghese, der Familie Papst Pauls V, bedeutete für Palestrina etwas völlig anderes: ein zutiefst persönliches Symbol, das ihn an das alte Persien und sein früheres Leben erinnerte und mehr berührte als irgend etwas anderes auf der Welt. Aus ihm bezog er Kraft, und diese Kraft verlieh ihm Energie und Gewißheit und die Überzeugung, richtig zu handeln. Der Adler fesselte ihn einige Zeit und entließ ihn dann wieder.
Schließlich ließ ihn ein bestimmter Gedanke umkehren. Im ersten Tageslicht erreichte Palestrina den Eingang des gelben Klinkerge-bäudes von Radio Vatikan. Er öffnete die Tür, stieg die Innentreppe des Turms hinauf und trat auf den kreisrunden Umgang hinaus.
Seine mächtigen Pranken lagen auf der Balustrade, während er beobachtete, wie jenseits der römischen Hügel der Tag anbrach. Von hier aus konnte er die Stadt, den Vatikanpalast, den Petersdom und einen großen Teil der vatikanischen Gärten überblicken. Dies war sein Lieblingsplatz, der ihm auch körperliche Sicherheit garantieren konnte, falls er sie jemals brauchen sollte. Das Gebäude stand etwas abseits des Vatikans auf einem Hügel und ließ sich deshalb leicht verteidigen. Der äußere Umgang, auf dem Palestrina jetzt stand, führte um das gesamte Gebäude, ließ ihn jeden sehen, der sich näherte, und stellte eine Art Feldherrnhügel dar, von dem aus er die Verteidigung leiten konnte.
Das mochte ein Phantasiegebilde sein, das ihn jedoch zunehmend beschäftigte. Vor allem wegen des Gedankens, der ihn hergeführt hatte: Farels Feststellung, Pater Daniel gleiche einer Katze, die ihre Leben noch nicht aufgebraucht habe, und ein einziger Mann könne ihn ganz China kosten. Zuvor war ihm Pater Daniel als unliebsame Panne erschienen, als eine schwärende Wunde, die ausgebrannt wer-353
den mußte. Daß es ihm gelungen war und weiterhin gelang, Thomas Kind und Roscanis ganzer Armee zu entkommen, ängstigte Palestrina, der insgeheim an eine dunkle, heidnische Unterwelt voller böser Geister glaubte. Seiner Überzeugung nach waren diese Geister dafür verantwortlich, daß er in seinem früheren Leben als Alexander mit nur dreiunddreißig Jahren an einem plötzlichen Fieber gestorben war. Wenn sie jetzt Pater Daniel anleiteten…
»Nein!« sagte Palestrina laut, wandte sich ruckartig ab, stieg die Treppe hinunter und trat wieder in die Gärten hinaus. Er würde nie mehr an böse Geister denken, jetzt nicht und auch in Zukunft nicht.
Sie waren nicht real, sondern Ausgeburten seiner eigenen Phantasie, und er würde nicht zulassen, daß seine eigene Phantasie ihn vernich-tete.
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Hefei.
Mittwoch, den 15. Juli, 11.40 Uhr
Bürokratie, Durcheinander und seine eigene Stellung als Wasserkontrolleur hatten Li Wen zunächst daran gehindert, die Wasseraufbereitungsanlage zu verlassen. Schließlich war es ihm jedoch gelungen, indem er sich von den aufgebracht diskutierenden Politikern und
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