Des Teufels Kardinal
gewesen, als er mit dem Lastwagen zurückgekommen war und sie au-
ßerhalb der Höhle halb nackt überrascht hatte. In ihrer Erinnerung war diese Szene – wie er sich rasch entschuldigt und gleich abgewandt hatte, um in die Höhle zurückzugehen – nicht mehr peinlich, sondern erotisch. Elena fragte sich, ob Harry sie trotz des Ernstes und der Gefährlichkeit ihrer Lage vielleicht etwas länger angesehen hätte, wenn sie keine Nonne gewesen wäre. Schließlich war sie noch jung und hatte auch keine schlechte Figur.
Vielleicht war Harry in ihr Leben getreten, um ihr zu helfen, eine Entscheidung zu treffen. Seine Gegenwart und sein Auftreten berührten sie auf bisher nie gekannte Weise. Dieses neue Gefühl war so zärtlich, aufbauend und stärkend, daß es alles Schuldbewußtsein, das solche Regungen bisher stets ausgelöst hatten, verschwinden ließ. Es kam ihr vor, als hätte sie eine Tür aufgestoßen und festgestellt, daß das Leben dahinter schön war, daß es in Ordnung war, mit denselben Gefühlen und Leidenschaften wie andere Menschen zu leben. Daß es völlig in Ordnung war, als Elena Voso zu leben.
Harry hörte ein leises Klopfen, dann sah er, wie seine Zellentür ge-
öffnet wurde.
»Mr. Addison?« flüsterte Elena.
»Was gibt’s?« Er setzte sich sofort hellwach auf.
»Alles in Ordnung, Mr. Addison. Darf ich einen Augenblick hereinkommen?«
Harry zögerte verwirrt. »Ja, natürlich.«
Die Tür wurde etwas weiter geöffnet. Ein schwacher Lichtschein vom Korridor her ließ ihn die Umrisse ihrer Gestalt erkennen, bevor die Tür sich wieder hinter ihr schloß.
»Entschuldigung, daß ich Sie geweckt habe.«
»Schon gut.«
In der kleinen Zelle war es eben hell genug, daß Harry Elena erkennen konnte. Sie trug ihre Schwesterntracht, war aber barfuß und wirkte aufgeregt und zugleich nervös.
»Wollen Sie sich nicht setzen?« fragte er und zeigte auf die Bettkante.
Elena betrachtete kurz das Bett und schüttelte dann den Kopf.
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»Danke, ich bleibe lieber stehen, Mr. Addison.«
»Harry«, sagte er.
»Harry…« Elena lächelte nervös.
»Was gibt’s denn?«
»Ich… ich habe einen Entschluß gefaßt, von dem ich Ihnen erzählen möchte.«
Harry nickte, obwohl er noch immer nicht wußte, worauf sie hinauswollte.
»Als wir uns kennengelernt haben, habe ich Ihnen erzählt, daß Gott mir aufgetragen hat, für Ihren Bruder zu sorgen.«
»Ganz recht.«
»Nun, sobald er wieder gesund ist, werde ich…« Elena machte eine Pause, und Harry sah, daß sie ihren ganzen Mut zusammennehmen mußte, um weitersprechen zu können. »Ich werde unsere Generalo-berin bitten, mich aus meinem Gelöbnis zu entlassen, damit ich das Kloster verlassen kann.«
Harry antwortete nicht gleich. »Wollen Sie meine Meinung dazu hören?« fragte er dann.
»Nein, ich stelle eine Tatsache fest.«
»Elena«, wandte Harry behutsam ein, »vielleicht sollten Sie vor einer endgültigen Entscheidung bedenken, daß keiner von uns nach allem, was wir durchgemacht haben, gegenwärtig nüchtern denken kann.«
»Darüber bin ich mir im klaren. Aber ich weiß auch, daß alles, was wir durchgemacht haben, dazu beigetragen hat, Gedanken und Ge-fühle zu klären, die ich seit einiger Zeit gehabt habe.«
Harry musterte sie prüfend. Selbst in dem schwachen Licht sah er ihren entschlossenen Blick. »Das ist eine sehr persönliche Sache.«
Elena äußerte sich nicht dazu. Harry lächelte flüchtig. »Vielleicht verstehe ich nur nicht, warum Sie das ausgerechnet mir erzählen.«
»Weil ich nicht weiß, was morgen passieren wird, und das alles einem Menschen erzählt haben möchte, der Verständnis dafür hat. Und weil ich es gerade Ihnen erzählen wollte, Harry.« Elenas Blick ruhte unverwandt auf ihm.
»Gute Nacht, und Gott segne Sie«, flüsterte sie dann und huschte wieder hinaus.
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Harry beobachtete, wie sie den kleinen Raum durchquerte, und nahm flüchtig ihre Gestalt wahr, als sie die Tür öffnete und nach draußen verschwand. Weshalb sie ihn aufgesucht hatte, um ihn an einer zutiefst persönlichen Entscheidung teilhaben zu lassen, war ihm noch immer nicht ganz klar. Er wußte nur, daß er noch nie eine Frau wie Elena gekannt hatte, und war sich zugleich bewußt, daß dies nicht der richtige Zeitpunkt war, sich zu ihr hingezogen zu fühlen. Eine Ablenkung dieser Art war das letzte, was sie jetzt brauchen konnten.
Sie war viel zu verwirrend und deshalb viel zu gefährlich.
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Die elegante, attraktive Frau mit
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