Des Teufels Kardinal
aufdringliche als angenehme Geruch versetzte ihn sofort in die Zeit vor vier Jahren, als er vorübergehend zu einer Spezialeinheit des Innenministeriums abkommandiert gewesen war, die eine Serie von Mafiamorden in Sizilien aufklären sollte.
Er stand mit mehreren seiner Kollegen auf einem Feld außerhalb von Palermo und untersuchte einen Toten, den ein Bauer auf dem Gesicht liegend im Straßengraben gefunden hatte. Der frühe Morgen war ganz ähnlich wie dieser gewesen: die Luft kühl und still, der Duft wilder Blumen so aufdringlich wie hier. Als sie den Toten umdrehten und sahen, daß seine Kehle von einem Ohr zum anderen durchschnitten war, riefen alle Ermittler wie aus einem Mund denselben Namen.
»Thomas Kind!« sagte Roscani laut, während ihm ein kalter Schauder über den Rücken lief.
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Thomas Kind. An ihn hatte er nicht einmal im entferntesten gedacht. Kind war seit über drei Jahren, vielleicht noch länger, aus dem Bewußtsein der Öffentlichkeit verschwunden. Er war angeblich ermordet worden; nach anderen Quellen sollte er in den Ruhestand getreten sein und Zuflucht im Sudan gefunden haben.
Roscani machte auf dem Absatz kehrt und trabte zur Villa Lorenzi zurück. Es war sieben Uhr vierzig. In genau zwanzig Minuten sollte die Häuserdurchsuchung beginnen.
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Bellagio, Anlegestelle der Autofähre.
Zur selben Zeit
Harry beobachtete, wie die schwerbewaffneten Carabinieri das Paar in dem dunkelblauen BMW vor ihnen kontrollierten. Einer der Uniformierten ließ den Fahrer aussteigen und ging mit ihm nach hinten, um einen Blick in den Kofferraum zu werfen. Als er darin nichts Verdächtiges fand, durften die beiden weiterfahren. Der BMW rollte über die Rampe auf die Autofähre, und die Polizisten wandten sich ihnen zu.
Sie saßen zu fünft in einem weißen Kleinbus, dessen Türen das Wappen der Kirche Santa Chiara trugen. Pater Renato saß am Steuer und hatte Elena auf dem Beifahrersitz neben sich, Harry, Danny und Pater Natalini, ein junger Geistlicher mit fast kindlichem Gesicht, saßen hinten. Elena trug ein Kostüm, hatte ihr Haar zu einem Nak-kenknoten zusammengefaßt und eine Hornbrille aufgesetzt. Die Geistlichen trugen ihre gewohnten schwarzen Anzüge mit Priesterkragen. Danny, der ebenfalls eine Brille trug, war wie Harry noch immer bärtig und ganz in Schwarz gekleidet. Beide hatten lange, bis zum Hals zugeknöpfte Mäntel und schwarze Schädelkäppchen angelegt. Damit sahen sie hoffentlich überzeugend wie Rabbiner aus.
»Die beiden kenne ich«, sagte Pater Renato leise auf italienisch, als die Carabinieri rechts und links an den Wagen traten.
»Buon giorno, Alfonso, Massimo.«
»Padre Renato! Buon giorno.« Alfonso, der erste Carabiniere, war ein Hüne, dessen bloße Erscheinung bereits bedrohlich gewirkt hätte, wenn er nicht breit gegrinst hätte, weil er den Bus und die beiden Patres erkannte.
»Buon giorno«, sagte Pater Natalini vom Rücksitz aus lächelnd.
Die folgenden neunzig Sekunden kamen Harry wie eine Ewigkeit vor, während Pater Renato auf italienisch mit den Polizeibeamten schwatzte. Ab und zu verstand er einzelne Wörter: »Rabbino… Is-raele… Conferenza Cristiano-giudea…«
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Auf die Idee, sie könnten sich als Rabbiner verkleiden, war Harry gekommen. Während er mit angehaltenem Atem und vor Angst ver-krampft dasaß und darauf wartete, daß sie wie der BMW-
Fahrer alle aussteigen mußten, fragte er sich, was er sich dabei gedacht hatte. Trotzdem hatten sie rasch etwas unternehmen müssen, nachdem Elena kurz vor Tagesanbruch mit Pater Renato in seine Zelle gekommen war und ihm erklärt hatte, durch Vermittlung ihrer Mutter Oberin könnten sie gleich jenseits der Grenze in der Schweiz unterkommen.
Mit dem Einverständnis seiner Oberen war Pater Renato bereit, sie dorthin zu bringen, aber er wußte nicht, wie er das bewerkstelligen sollte. Dann war Harry auf diese Idee gekommen, als er beim Anzie-hen geistesabwesend in den Spiegel geblickt hatte. Es war ein verrückter Einfall, der jedoch Erfolg haben konnte, weil es ihnen schon zweimal gelungen war, Polizeikontrollen mit einem Bluff zu passieren. Mithelfen würde die Tatsache, daß die beiden Patres nicht nur Respektspersonen waren, sondern als Einheimische jedermann kannten, auch die hiesigen Polizeibeamten.
Außerdem kamen Harry in diesem Fall seine Erfahrungen aus L. A.
zugute. Er selbst war katholisch, aber wer in der amerikanischen Unterhaltungsindustrie Karriere machte, hatte auch jüdische
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