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Des Teufels Kardinal

Des Teufels Kardinal

Titel: Des Teufels Kardinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Allan Folsom
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durchdringendem Blick sorgenvoll ins Gesicht.
    »Was gibt es, Euer Heiligkeit?« fragte Palestrina ruhig.
    »Heute ist kein guter Tag, Eminenz.« Der Papst sprach mit kaum hörbarer Stimme. »Ich empfinde böse Vorahnungen. Mein Herz ist von Angst und Schrecken erfüllt. Seit dem Aufwachen scheint ein Gespenst auf meiner Schulter zu sitzen. Ich kann es nicht genau erkennen, aber es scheint mit Ihnen zusammenzuhängen, Eminenz. Als seien Sie ein Teil dieser Finsternis.« Der Papst zögerte, während er Palestrina forschend betrachtete. »Sagen Sie mir, was das bedeutet…«
    »Das weiß ich nicht, Euer Heiligkeit. Mir kommt dieser Tag wie ein heller, warmer Sommertag vor.«
    »Dann beten Sie mit mir, daß ich mich täusche. Daß meine bösen Vorahnungen wieder vergehen. Beten Sie mit mir um die Erlösung des Geistes.«
    Der Papst erhob sich aus seinem Sessel, und die beiden Männer knieten vor dem Altar nieder. Palestrina hörte gebeugten Hauptes zu, wie Leo XIV. laut betete, und wußte, daß die Befürchtungen des Heiligen Vaters nicht zutrafen.

    483
    Die namenlosen Schrecken, die Palestrina in den ersten Stunden dieses Tages empfunden hatte, als Krankheit und Tod bringende Gespenster ihn hatten hochfahren lassen, hatten sich plötzlich und unvorhersehbar in Wohlgefallen aufgelöst, nachdem Thomas Kind angerufen hatte, um ihm von Li Wen zu berichten.
    Erst vor knapp einer Stunde hatte Pierre Weggen ihm telefonisch mitgeteilt, obwohl feststehe, daß die Seen vorsätzlich vergiftet worden seien – nach chinesischer Darstellung von »einem geistesgestörten Wasserkontrolleur« –, habe die Führung in Peking beschlossen, an dem Plan zur Erneuerung aller Wasserversorgungsanlagen festzuhalten. Diese Entscheidung sollte nicht nur die traumatisierte, noch immer ängstliche und unruhige Bevölkerung beschwichtigen, sondern auch der Weltöffentlichkeit beweisen, daß die Zentralregierung nach wie vor das Heft in der Hand hielt. Sie bedeutete zugleich, daß Palestrinas »chinesisches Protokoll« weiter in Kraft bleiben und nicht etwa revidiert werden würde.
    Außerdem hatte Thomas Kind diesmal geliefert, was er versprochen hatte: Mit dem Tod Li Wens und Chen Yins war die Gefahr gebannt, daß jemand eine Straße entdeckte, die von China nach Rom führte. Und unter Thomas Kinds bewährter Regie würde sich der letzte Akt des Dramas schon sehr bald hier im Vatikan abspielen, zu dem die beiden Addisons sich hingezogen fühlten wie Motten zum Licht. Weder Pater Daniel noch sein Bruder waren von Geistern entsandte Todesboten, sondern verkörperten lediglich eine Gefahr, die eliminiert werden mußte.
    Der Heilige Vater hatte sich getäuscht. Das Gespenst, das er auf seiner Schulter sitzend wähnte, war nicht etwa der Schatten von Palestrinas Tod, sondern das Spiegelbild der emotionalen und spirituellen Gebrechlichkeit eines ängstlichen Greises.

    484
    148
    10.15 Uhr
    Roscani knabberte vor Ungeduld an einem Fingerknöchel, während er beobachtete, wie die Rangierlok langsam auf sie zukam. Der größ-
    te Teil des ehemals hellgrünen Anstrichs der alten, klapprigen Lokomotive war unter einer öligen Schmutzschicht verschwunden.
    »Sie ist zu früh dran«, sagte Scala vom Rücksitz aus.
    »Macht nichts. Hauptsache, sie kommt überhaupt«, meinte Castelletti, der vorn neben Roscani saß.
    Sie beobachteten die Rangierlok aus Roscanis blauem Alfa, der auf halber Strecke zwischen der Stazione San Pietro und dem Tor in der Vatikanmauer am Randstein geparkt stand. Während die grüne Lokomotive näher kam, hörten sie das Geräusch von Bremsklötzen auf Stahlrädern, als der Lokführer die Bremse betätigte. Die Diesellok rollte vorbei, wurde langsamer und hielt dann. Ein Rangierer kletterte aus dem Führerstand und ging auf den Gleisen zur Abzweigung voraus. Die Polizisten beobachteten, wie er eine Weiche aufsperrte und den langen Weichenhebel umlegte. Auf seinen Pfiff hin fuhr die Lok mit einer schwarzen Dieselqualmwolke auf das Anschlußgleis und stoppte nach einem weiteren Pfiff. Der Rangierer stellte die Weiche wieder um und kletterte in den Führerstand zurück.
    Scala beugte sich nach vorn. »Für den Zeitplan der Addisons wäre es ziemlich schlecht, wenn sie gleich rein fahren würden.«
    Castelletti schüttelte den Kopf. »Das machen sie nicht. Sie warten hier draußen, bis sie um Punkt elf durch das Tor in den Vatikan fahren können. Kein italienischer Eisenbahner würde den Papst verär-gern wollen, indem er zu früh oder zu

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