Des Teufels Kardinal
Calico vorsichtig weiter. Aber hinter der Ecke war nur die Fortsetzung der Treppe zu sehen, ungefähr zwanzig Stufen bis zum nächsten Stockwerk.
Plötzlich hörte er unter sich das Klirren der eingeschlagenen Glastür. Als er sich über das Geländer beugte, sah er zwei Männer in 501
Schwarz mit schußbereiten Waffen hereinstürmen und zur Treppe laufen. Er verschwand rasch um die Ecke, schob seine Calico in den Hosenbund und holte den aus einer Bierflasche improvisierten Molotowcocktail aus seiner Gürteltasche. Auf der Treppe waren bereits die stampfenden Schritte seiner Verfolger zu hören.
Harry riß ein Zündholz an, hielt es an den Docht der Brandflasche und zählte langsam bis drei. Dann trat er plötzlich vor und schleuderte den Molotowcocktail dem ersten Mann vor die Füße. Das Zersplit-tern der Flasche und das dumpfe Fauchen der hochschlagenden Flammen ging in einem Kugelhagel unter. Geschosse zerfetzten die Treppe neben Harry, surrten als Querschläger von Decke und Wänden. Aber unmittelbar darauf hörte Harry unter sich nur noch die gellenden Schreie der in Flammen gehüllten Männer.
»Diesmal haben Sie Pech«, blaffte eine mit starkem Akzent sprechende Stimme über ihm.
Harry warf sich herum und riß dabei die Calico aus seinem Hosenbund. Eine vertraute Gestalt kam die Treppe herab auf ihn zu: Jung, in einem schwarzen Anzug, hellwach, tödlich – Anton Pilger. Er hielt einen großkalibrigen Revolver in der Hand und wollte eben den Abzug betätigen.
Aber Harry schoß bereits. Er drückte mehrmals ab, so daß Pilgers Körper auf der Treppe zu tanzen schien, während Pilgers Schuß in die Stufe vor Harrys Füßen ging. Pilgers Gesichtsausdruck war eine Mischung aus Überraschung und Verwirrung.
Schließlich gaben seine Beine nach, und er sackte rückwärts auf die Treppe. Das Funkgerät in seiner Jacke knackte mehrmals laut, aber das war alles. In der nun folgenden Totenstille erinnerte sich Harry, daß er diese Stimme schon einmal gehört hatte. Plötzlich begriff er, was Pilger meinte, als er von Pech gesprochen hatte. Er hatte schon einmal versucht, Harry umzubringen, was ihm aber nicht gelungen war: in dem Abwasserkanal, nachdem Harry gefoltert worden war und bevor Herkules ihn gefunden hatte.
Dann beugte Harry sich über Pilger, nahm ihm das Funkgerät ab und lief weiter die Treppe hinauf.
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10.45 Uhr
Marsciano stand mit dem Rücken an der Wand, als die Tür seines Apartments aufgesperrt wurde. Er hatte die Schüsse draußen im Gang gehört, das Klirren zerbrechenden Glases und die gellenden Schreie. Sein Stoßgebet enthielt eine zweifache Bitte: Pater Daniel möge kommen, um ihn herauszuholen – und er möge nicht kommen.
Dann flog die Tür auf, und Harry Addison stand auf der Schwelle.
»Alles in Ordnung«, sagte er ruhig, schloß die Tür hinter sich und sperrte sie von innen ab.
»Wo ist Pater Daniel?«
»Er wartet auf Sie.«
»Draußen sind Farels Männer.«
»Wir müssen trotzdem hinaus.«
Harry sah sich um, stellte fest, welche Tür ins Bad führte, und verschwand darin. Im nächsten Augenblick kam er mit drei angefeuch-teten kleinen Handtüchern zurück.
»Hier, binden Sie sich das vor Nase und Mund.« Harry gab Marsciano eines der Handtücher, bevor er zu der Glastür lief und sie aufriß. Von draußen kamen dichte Rauchschwaden herein. Gleichzeitig schwebte eine merkwürdige Erscheinung vom Himmel herab.
Marsciano starrte sie an. Ein zwergenhaft kleiner Mann mit großem Kopf, mächtigem Brustkasten und verkrüppelten Beinen stand mit einem Kletterseil gesichert auf dem Balkon.
»Eminenz«, sagte Herkules lächelnd, indem er ehrfürchtig das Haupt beugte.
Thomas Kind hörte die Meldung im selben Augenblick, in dem sie aus Adriannas Mobiltelefon kam, über das sie den Funkverkehr zwischen ihren Kamerateams mithören konnte.
»Ich weiß nicht, ob das in der jetzigen Situation interessiert, aber das Eisenbahntor in der Vatikanmauer steht offen, und eine Rangierlok fährt darauf zu.«
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»Skycam, wissen Sie das bestimmt?« Adrianna sprach mit dem Piloten ihres Kamerahubschraubers, der eben von Süden kommend den Vatikan erreichte.
»Positiv.«
Adrianna schaltete ihr Telefon stumm und sah zu Eaton hinüber.
»Das Eisenbahntor des Vatikans steht offen, eine Rangierlok fährt darauf zu.«
Eaton starrte sie an. »Damit wollen sie Marsciano rausbringen!«
»Skycam, bleiben Sie auf der Rangierlok! Draufbleiben!« Thomas Kind hörte das Klicken, mit dem
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