Des Teufels Kardinal
Leo XIV. der durch seinen schlechten Gesundheitszustand und anstrengende Verpflichtungen geschwächt war, Palestrina blindlings vertraute, hatte er die Leitung der Kirche praktisch seinem Sekretär des Auswärtigen übertragen. Sich an den Heiligen Vater zu wenden, wäre ebenso zwecklos wie eine Beschwerde bei Palestrina selbst gewesen, denn der Sekretär hätte natürlich alles geleugnet, und der Beschwerdeführer wäre umgehend in eine weit von Rom entfernte Diözese abgeschoben worden und dort verschol-len.
Darin lag der eigentliche Schrecken. Denn mit Ausnahme von Pierre Weggen, der bedingungslos hinter Palestrina stand, hatten die anderen, Marsciano, Kardinal Matadi und Monsignore Capizzi, alle Angst vor Palestrina. Sie fürchteten seine körperliche Präsenz, seinen Ehrgeiz, seine untrügliche Fähigkeit, die Schwächen eines Mannes auszuforschen und für seine eigenen Zwecke zu nutzen. Und vor allem seine imponierende Charakterstärke, mit der jeder zu rechnen hatte, auf den Palestrina seine Aufmerksamkeit konzentrierte.
Sie fürchteten auch die Verrückten, die in seinen Diensten standen: Jakow Farel, der einerseits der öffentlich tätige, freimütig sprechende Chef der Vatikanpolizei und andererseits der im geheimen arbeitende skrupellose Scherge Palestrinas war. Und den Terroristen Thomas Kind, der Kardinal Parma, Palestrinas Erzfeind, ermordet hatte. In ihrer Gegenwart, in Gegenwart des Heiligen Vaters und in Gegen-116
wart Palestrinas, der diesen Mord befohlen und seelenruhig neben Parma gestanden hatte, als der niedergeschossen worden war.
Marsciano wußte nicht, wie den anderen zumute war, aber für ihn stand fest, daß niemand seine eigene Schwäche und seine Angst mehr verabscheute als er selbst.
Er sah nochmals auf seine Armbanduhr.
20.10 Uhr
»Eminenz.« Pierre Weggen hatte Yan Yeh mitgebracht. Der Präsident der Volksbank von China war ziemlich klein und sehr schlank mit graumeliertem schwarzem Haar.
»Sie erinnern sich an Yan Yeh«, sagte Weggen.
»Natürlich.« Marsciano schüttelte dem chinesischen Bankier lä-
chelnd die Hand. »Willkommen in Rom.«
Die beiden kannten sich aus Bangkok. Abgesehen von einer kurz-zeitigen Verstimmung, als Palestrina den Bankier bewußt provozie-rend nach der Rolle der katholischen Kirche im neuen China gefragt und die kühl abweisende Antwort erhalten hatte, die Zeit sei noch längst nicht reif für eine Wiederannäherung zwischen Peking und Rom, hatte Marsciano Yan Yeh als liebenswürdigen, freimütigen, sogar geistreichen und anscheinend aufrichtig um das Wohl der Menschen in aller Welt besorgten Mann schätzengelernt.
»Ich glaube«, sagte Yan Yeh mit schalkhaftem Blitzen in den Augen, während er sein Rotweinglas hob, um mit Marsciano anzusto-
ßen, »die Italiener sollten uns Chinesen Nachhilfe im Weinbau geben.«
In diesem Augenblick beobachtete Marsciano, wie der Apostolische Nuntius eintrat, zu Palestrina hinüberging, der mit dem chinesischen Botschafter und dem Außenminister sprach, und ihn beiseite nahm. Die beiden redeten kurz miteinander, und Palestrina sah zu ihm hinüber, bevor er den Saal verließ. Das war eine unbedeutende Geste, die wohl niemandem aufgefallen war. Aber für Marsciano war sie bedeutsam, weil sie bewies, daß Palestrinas Aufmerksamkeit jetzt ihm galt.
»Vielleicht«, antwortete Marsciano, indem er sich wieder an Yan Yeh wandte, »ließe sich das arrangieren.«
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»Eminenz.« Der Nuntius berührte seinen Ärmel.
Marsciano drehte sich zu ihm um. »Ja, ich weiß… Wohin soll ich nachkommen?«
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Die durch das einzige Fenster des prunkvoll eingerichteten Bespre-chungszimmers scheinende Sonne teilte den Raum in zwei Hälften.
Palestrina stand an der Hell-Dunkel-Grenze, teilweise im Schatten.
Der Mann seitlich hinter ihm war nur als Silhouette zu erkennen, aber Marsciano wußte auch so, wer er war: Jakow Farel.
»Eminenz… Jakow.« Marsciano schloß die Tür hinter sich.
»Nehmen Sie Platz, Nicola.« Palestrina deutete auf eine Gruppe hochlehniger Stühle vor einem antiken Marmorkamin. Marsciano durchquerte den Raum, um dieser Aufforderung nachzukommen.
Farel nahm ihm gegenüber Platz. Er schlug die Beine übereinander und knöpfte sein Jackett auf, bevor er den Kopf hob und Marsciano ausdruckslos anstarrte.
»Ich möchte Ihnen eine Frage stellen, Nicola, und verlange eine ehrliche Antwort.« Palestrina ließ seine Hand leicht über eine Stuhllehne gleiten, dann ergriff er sie, zog den Stuhl herum
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