Des Teufels Kardinal
blickte instinktiv an sich herab und fragte sich, was das gewesen sein mochte. Dann fühlte er, wie seine Knie nachgaben. Das Geräusch wiederholte sich zweimal. Der Mann stand jetzt dicht vor ihm.
Byron Willis sah auf. »Ich verstehe nicht, was…«
Dann sackte er zusammen.
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Rom.
Freitag, 10. Juli, sieben Uhr morgens
Thomas Kind war auf dem Fußweg über dem Tiber unterwegs und wartete ungeduldig auf ein Klingeln seines Mobiltelefons. Er trug einen beigen Leinenanzug mit einem blaugestreiften Hemd, dessen Kragenknopf er geöffnet hatte. Sein tief in die Stirn gezogener wei-
ßer Panamahut schützte ihn nicht nur vor der Morgensonne, sondern auch vor neugierigen Blicken, die dazu führen konnten, daß jemand ihn erkannte und die Polizei alarmierte.
Kind ging unter den Bäumen weiter, bis er eine Stelle erreichte, die er von weitem ausgemacht hatte, wo der Tiber zwischen Granitmau-ern direkt unter ihm vorbeiströmte. Nachdem er sich kurz umgesehen und außer dem Morgenverkehr auf der Straße jenseits der Bäume nichts Auffälliges beobachtet hatte, knöpfte er sein Jackett auf und zog einen in ein weißes Taschentuch gewickelten Gegenstand aus dem Hosenbund. Dann stand er mit lässig aufgestützten Ellbogen an der Mauerbrüstung über dem Wasser, ein Tourist, der den Blick über den Fluß genoß, und ließ den Gegenstand aus seinem Taschentuch gleiten. Im nächsten Augenblick hörte er ihn ins Wasser klatschen, richtete sich auf und fuhr sich geistesabwesend mit dem Taschentuch über den Nacken. Als er weiterging, wurden die verkohlten Überreste der spanischen Llamapistole von der Strömung mitgerissen und an eine andere Stelle des Flußbetts getragen.
Zehn Minuten später betrat er eine kleine Bar unweit der Piazza Farnese, bestellte einen Eiskaffee und setzte sich an einen der Tische, um ungeduldig auf den Anruf und die Informationen zu warten, die noch immer nicht gekommen waren. Er nahm sein Telefon aus der Jackentasche, tippte eine Nummer ein, ließ es zweimal klingeln, gab einen dreistelligen Zahlencode ein und beendete den Anruf. Dann lehnte er sich zurück, griff nach seinem Kaffee und wartete auf den Rückruf.
Thomas José Alvarez-Rios Kind war 1984 berühmt geworden, als er bei einem verpatzten Festnahmeversuch in einem Pariser Vorort 133
vier Beamte einer Spezialtruppe zur Terrorismusbekämpfung erschossen hatte. Seit damals war er ein Liebling der Medien und des terroristischen Untergrunds. Journalisten schilderten ihn gern als Nachfolger des Schakals Carlos, als einen terroristischen Glücksrit-ter, der seine Dienste dem Meistbietenden zur Verfügung stellte.
In den späten achtziger und frühen neunziger Jahren hatte Kind tatsächlich allen gedient. Den italienischen Roten Brigaden ebenso wie der französischen Action Directe, Muammer al-Gaddafi ebenso wie Abu Nidal und dem irakischen Geheimdienst bei Einsätzen in Belgi-en, Frankreich, England und Italien. Danach hatte er in Miami und New York für die großen traficantes, die Bosse des Medelliner Dro-genkartells, als bezahlter Killer gearbeitet. Später war er nach Italien zurückgekehrt, um als Söldner der Cosa Nostra, die eigentlich keine Hilfe von außen brauchte, Staatsanwälte in Kalabrien und Sizilien zu ermorden.
Das alles gestattete ihm, öffentlich die Worte zu wiederholen, die Bonnot, der Anführer einer 1912 in Paris operierenden Mörderbande, und nach ihm auch Carlos gebraucht hatte: »Ich bin ein berühmter Mann.« Und das war er wirklich. Im Lauf der Jahre war sein Bild nicht nur auf den Titelseiten aller großen Zeitungen, sondern auch auf den Umschlägen von Time, Newsweek und Vanity Fair erschienen. 60 Minutes hatte ihn zweimal porträtiert. Deswegen spielte er in einer ganz anderen Liga als die vielen anderen Killer, die bereitwillig für ihn gearbeitet hatten.
Sein Problem war jedoch die immer deutlichere Erkenntnis, daß er geisteskrank war. Er hatte als wahrhafter Revolutionär angefangen, als er 1976 als idealistischer Teenager aus Ecuador nach Chile gegangen war und auf den Straßen von Valera gekämpft hatte, um die Ermordung marxistischer Studenten durch Soldaten des faschistischen Generals Augusto Pinochet zu rächen. Danach hatte er in England bei der Familie seiner Mutter gelebt und in Oxford Geschichte und politische Wissenschaften studiert. Unmittelbar darauf war es zu einem Geheimtreffen mit dem KGB-Residenten in London gekommen, der ihm zugeredet hatte, sich in Moskau zu einem sowjetischen Agenten
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