Des Teufels Kardinal
dieses Wort bedeutet. Aber ich spiele nicht Theater, ich bin einfach ich selbst. Und falls mir einmal etwas zustößt, habe nur ich darunter zu leiden.«
»Wie läuft das alles, wenn du siebzig bist?«
»Frag mich dann.«
Harry musterte sie prüfend. Deshalb hatte er vorhin das Gefühl gehabt, sie im Fernsehen besser zu kennen als hier in diesem Zimmer.
Ihr ganzes Leben und ihre Intimität spielten sich auf dem Bildschirm ab. Dort war sie alles, was sie war, was sie sein wollte. Und sie machte ihre Sache sehr gut. Vor einer Woche hätte er sich über sich selbst noch ähnlich geäußert. Freiheit war alles. Sie verschaffte einem unglaubliche Chancen, weil man kein Risiko zu scheuen brauchte. Man vertraute auf sein Geschick und seine Fähigkeiten und nahm die Herausforderungen an, wie sie kamen. Und wenn man verlor, verlor man eben. Aber jetzt war er sich seiner Sache nicht mehr so sicher. Das mochte daran liegen, daß er seine Freiheit eingebüßt hatte. Vielleicht hatte sie ihren Preis, den er nur nie erkannt hatte. Vielleicht war die Sache so einfach, aber vielleicht auch nicht.
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Und es gab noch andere Dinge, die er würde erkennen und verstehen müssen. Vielleicht war dies eine Reise, die ihm dazu verhelfen konnte.
»Wohin fahre ich von hier aus? Und mit wem?« Harry machte eine Pause. »Bei wem melde ich mich?« fragte er dann. »Bei dir oder bei Eaton?«
»Bei mir.« Adrianna nahm ein kleines Mobiltelefon aus ihrer Um-hängetasche und gab es ihm. »Ich weiß, was die Polizei tut, und füh-re jeden Tag hundert Telefongespräche. Da fällt eines mehr nicht auf.«
»Was ist mit Eaton?«
»Den informiere ich rechtzeitig.« Adrianna zögerte, dann drehte sie den Kopf leicht nach links, wie sie es vor der Kamera tat, wenn sie dabei war, einen schwierigen Sachverhalt zu erklären.
»Du hast nie was von James Eaton gehört, und er weiß von Harry Addison nur, was er in der Zeitung gelesen, im Fernsehen gesehen oder als Klatsch in der Botschaft gehört hat. Mich kennst du ebenfalls nur von unserer kurzen Begegnung im Hotel, wo ich versucht habe, ein Statement von dir zu bekommen.«
»Und was ist mit dem hier?« Harry beugte sich leicht nach vorn und breitete Reisepaß, Führerschein und Universitätsausweis vor sich auf dem Couchtisch aus.
»Was ist, wenn ich statt nach rechts nach links gehe und der Gruppo Cardinale in die Arme laufe? Was soll ich Roscani erzählen – daß ich immer einen zweiten Satz Ausweispapiere in der Tasche habe?
Er wird wissen wollen, von wem ich das alles bekommen habe.«
»Harry.« Adrianna schenkte ihm ein warmes Lächeln. »Du bist schon ein sehr großer Junge. In deinem Alter solltest du rechts und links unterscheiden können. Kannst du’s nicht, mußt du es üben, okay?« Sie beugte sich nach vorn und küßte ihn leicht auf die Lippen. »Verlauf dich nicht«, flüsterte sie, dann stand sie auf und ging.
An der Tür blieb sie kurz stehen, um ihn aufzufordern, die Wohnung vorläufig nicht zu verlassen. Sobald sie etwas Neues erfuhr, würde sie ihn anrufen.
Er stand da und beobachtete, wie die Tür hinter ihr zufiel, hörte das Sicherheitsschloß einschnappen. Sein Blick wanderte langsam zu 189
dem Tisch hinüber, auf dem seine neuen Papiere ausgebreitet lagen.
Er wünschte, er hätte Schauspielunterricht genommen.
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Cortona.
Samstag, 11. Juli, 9.30 Uhr
Schwester Elena Voso hatte ihre Einkäufe gemacht und kam mit einer großen Gemüsetüte aus dem Lebensmittelgeschäft an der Piazza Signorelli. Sie hatte das frische Gemüse sorgfältig ausgewählt, weil sie eine möglichst schmackhafte und nahrhafte Suppe kochen wollte. Nicht nur für die drei Bewacher, sondern auch für Michael Roark. Es wurde Zeit, daß sie versuchte, ihm wenigstens etwas Suppe einzuflößen. Sie hatte ihm schon mehrmals die Lippen angefeuch-tet, und er hatte reflexartig geschluckt. Aber als sie versucht hatte, ihm einen Schluck Wasser einzuflößen, hatte er sie nur stumm ange-blickt, als sei die Anstrengung zu groß für ihn. Doch wenn sie ihm eine gute Gemüsesuppe anbot, war der Duft vielleicht so verlockend, daß er wenigstens versuchte, etwas davon zu essen. Auch nur ein Löffel wäre besser als nichts, wäre ein Anfang gewesen, denn je früher er wieder zu essen begann, desto schneller kam er vom Tropf weg und wieder zu Kräften.
Marco beobachtete, wie sie aus dem Laden kam und der gepflasterten Gasse folgte, an deren Ende ihr Wagen geparkt war. Normalerweise wäre er neben ihr
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