Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)
Anna es sich vorgestellt hatte. Von brutalen, blutrünstigen Burschen jedenfalls war nichts zu sehen.
Doch wie sollte sie es nur anstellen, dass auch sie ein Teil dieses großen Wurmes wurde? Schon seit sie den Entschluss gefasst hatte, sich dem Tross dieses Regiments anzuschließen, seit sie also von ihrem Dornenbuschversteck aus die Staubwolke verfolgt hatte, welche die vielen Füße, Hufe und Räder hinterlassen hatten, seitdem suchte sie nach einem geeigneten Zeitpunkt, auf sich aufmerksam zu machen. Anna wollte wieder gesehen werden. Sie wollte nicht mehr allein sein.
»Ich kann es nur immer wiederholen: Du bist nicht der Einzige, der Interesse daran hat, Josef. Verhandeln lass ich nich’ mit mir. Da wär’ ich ja schön blöd, wo doch so viele andere das gute Stück haben wollen.«
Liese Kroll, im Tross besser als Lumpenliese bekannt, nähte gerade im Licht eines kleinen Lagerfeuers an einem alten dänischen Offizierswams, das sie wieder auf Vordermann bringen wollte, um es dann über Wert zu verkaufen. Der kahle Josef stand vor ihr, wurde jedoch keines Blickes gewürdigt. Liese wusste, wie sie sich verhalten musste, damit ihr der Fisch ins Netz ging. Bloß nicht den Eindruck vermitteln, dass sie es nötig hatte, ihre Ware um jeden Preis loszuwerden.
Obwohl Liese von vielen als Wucherin und Hexe bezeichnet wurde, fand sie dennoch immer wieder Käufer für ihre überteuerten Waren, die angeblich Wunder vollbringen konnten. Liese selbst glaubte, dass ihr Verkaufsgeschick der einzige Grund für diesen zuweilen großen Ansturm auf all den Krempel war, von dem man sich Glück, Gesundheit, Manneskraft oder gar Unsterblichkeit versprach.
Sicher trug Lieses Talent, wertlosen Plunder durch das Erfinden fantasievoller Geschichten interessant zu machen, sehr dazu bei, all das Zeug an den Mann zu bringen, und ihr alter Begleiter Hans Mergel unterstützte sie seit Jahren tatkräftig dabei. Tatsächlich jedoch glaubte keiner ihrer Kunden wirklich an die Zauberkraft ihrer Waren, und die meisten wussten auch, dass sie das ganze Zeug irgendwo zusammengestohlen oder billig eingekauft hatte. Die meisten verschlossen einfach ihre Augen vor der wahren Biografie eines gefroren, also unverletzbar machenden Nothemdes, wie es nun der kahle Josef erwerben wollte.
Auch Josef war sich sicher, dass es sich bei dem schmutzigen Fetzen niemals um das Erzeugnis kleiner Jungfrauenfinger handelte, doch er zwang sich dazu, es zu glauben. Seit mehr als sieben Jahren war er nun Soldat, ihm war zweimal durchs linke Bein geschossen worden und einmal durch den rechten Arm, er humpelte und hatte lernen müssen, alle Geschäfte des Lebens mit nur einer Hand zu erledigen.
Josef hatte sich, so dachte er, an den Krieg gewöhnt, immerhin war das Soldatenleben dem eines armen Tagelöhners vorzuziehen, denn von Zeit zu Zeit konnte man als Soldat aus dem Vollen Schöpfen. Von Zeit zu Zeit nämlich kam es vor, dass man reiche Städte belagerte und sie, sobald die Belagerung erfolgreich beendet war, plündern durfte – zur Strafe für die Stadtherren und ihre Bevölkerung. Dann gab es tagelang so viel zu essen und zu trinken, dass sich so mancher seiner Kumpel schon totgesoffen hatte. Viele ergatterten auch Geld, Schmuck und andere Wertsachen, welche die reichen Bürger zwar gut versteckt hatten, aber mit ein wenig Feuer unterm Hintern dann doch gern hergaben. Solche Tage gab es im Soldatenleben, doch sie gingen schnell vorbei und kamen auch nicht oft wieder.
Meistens hieß es, bei Wind und Wetter marschieren, mal in den Westen, dann in den Osten, dann hoch in den Norden und wieder hinunter in den süden – ganz so, wie es dem Kaiser oder besser dem Wallenstein beliebte. Auf diesen Märschen holten sich viele die Pest, die Ruhr oder irgendein Fieber und starben dann wie die Fliegen. Entweder war es drückend heiß oder klirrend kalt, so trocken, dass man nirgends auch nur einen Tropfen Wasser fand, oder so feucht, dass man des Nachts in Pfützen schlafen musste. Und dann kamen auch noch die Schlachten hinzu, in denen man sich, oft krank und hungrig, stundenlang gegenseitig die Köpfe einschlug.
Der Tod war also ein ständiger Begleiter, und tagtäglich galt es ihm ein Schnippchen zu schlagen, ihm von der Schippe zu springen und weiterzuleben. Und dafür tat man alles, denn niemand – das hörte man des Abends auch in den Gesprächen an den Lagerfeuern – hatte wirklich Lust, ihm ins Auge zu blicken.
Und weil der kahle Josef noch lange nicht an
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