Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)
ich eine Hilfskraft gebrauchen. Wie heißt du denn?«
»Anna heiß ich.«
»Und wie alt bist du?«
»Fünfundzwanzig Jahre war ich im Januar.«
»Siehst älter aus. Na, wer tut das nicht in diesen Zeiten.«
Anna war erleichtert. Sie hatte es nicht nur gewagt, endlich einen Menschen anzusprechen, sondern hatte gleich Arbeit und somit die Aussicht erhalten, noch in dieser Nacht endlich wieder eine richtige Mahlzeit zu sich nehmen zu können.
Als Liese zusammen mit ihrer neuen Begleitung an ihrem Ochsenkarren ankam, vor dem schon das schlafzelt errichtet war, saß der alte Hans Mergel zusammen mit vier anderen Männern und einer jungen Frau an einem kleinen Feuer und erzählte einmal wieder Geschichten.
Es war eine schöne Sommernacht. Die Tage waren in diesem Jahr ausgesprochen heiß und die Nächte angenehm warm, sodass man Feuer nur zum Kochen benötigte oder um besser sehen zu können. Die Gruppe, die einmal wieder einer der schaurigen Gruselgeschichten des Erzählers Mergel lauschte, bemerkte zunächst nicht, dass sich die beiden Frauen genähert hatten.
»Was erzählst du wieder für ein dummes Zeug, Hans? Solltest doch den Kessel flicken und die neuen Stiefel putzen.«
»Ach, Liese, da bist du ja schon wieder.«
»Ja, da bin ich schon wieder, brauchst gar nicht so scheinheilig tun. Weiß genau, dass du mich am liebsten von Weitem siehst. Nun, was steht heute an? Doch nicht etwa der Geist des großen Cäsar? Wisst ihr«, wandte sie sich mit einem Augenzwinkern an die Zuhörer, »das ist ein seltsamer Kauz, der alte Römer, wendet sich in der Nacht vor jeder schlacht ausgerechnet an den Mergel, um ihm zu berichten, wie alles verlaufen wird. Das ist doch vergebliche Liebesmüh. Der Mergel kann doch mit solch einem Wissen nichts anfangen. Soll er dem Wallenstein erscheinen oder einem Offizier. Aber doch nicht dem armen Mergel.«
»Ja, ja, Liese, ich weiß. Ich hör ja schon auf und vertage meine Geschichte auf’nen anderen Abend. Auf dass wir noch mal in dieser fröhlichen Runde zusammenkommen. Gott möge uns beistehen!«
So schloss Hans Mergel seine rüde unterbrochene Erzählung und schaute in den sternenhimmel. Nicht dass er ein strenggläubiger Mensch gewesen wäre, nein, das hatte ihm der Krieg ausgetrieben. Vielmehr gehörte eine gewisse Frömmigkeit zu dem Gesamtbild, das er selbst von sich geschaffen hatte und welches nahezu täglich durch neue Floskeln, Gesten und Merkwürdigkeiten erweitert wurde.
»Übrigens, das ist Anna. Hab sie gerade auf der straße aufgelesen. Ist ein Bauernmädel aus der Gegend und möchte jetzt lieber mit uns mitziehen, statt in ihrer verlausten Bude sitzen.«
Lieses Einführung der verschüchterten Anna, die kaum ihren Blick vom Boden heben konnte, löste weder Begeisterung noch Ärgernis aus. So wie Anna es in ihrem bisherigen Leben gewohnt war, regierte auch hier am Lagerfeuer angesichts ihrer Erscheinung nichts weiter als pure Gleichgültigkeit. Hans Mergel grinste zwar und nickte dem Neuankömmling kurz zu, doch offensichtlich kreisten seine Gedanken immer noch um die Geschichte, die weiterzuerzählen ihm soeben verboten worden war. Einer der Männer, ein dicker Mensch, der nur aus Haaren zu bestehen schien, grunzte etwas Unverständliches und widmete sich dann wieder seinem Becher. Zwei jüngere Männer kramten derweil in ihren Taschen nach Würfeln und schienen Lieses Worte gar nicht gehört zu haben. Der vierte Mann jedoch, ein seltsamer Kerl von etwa dreißig Jahren, an dem alles außergewöhnlich lang und dünn erschien, musterte Anna immerhin kurz von oben bis unten, um sich dann weiter auf eine Schnitzerei zu konzentrieren. Und die junge Frau hatte die ganze Zeit nicht eine Sekunde lang damit aufgehört, ununterbrochen ins Feuer zu starren.
Nun gut, Anna war es recht. sie ärgerte sich nicht über diesen Empfang, sondern war froh, dass sie nicht reden musste, denn reden mochte sie, im Gegensatz zu Liese und ihrem Begleiter Mergel, gar nicht gerne. Der einzige Laut, den sie von sich gab, kam nicht über ihre Lippen, sondern aus ihrem Magen: Ein unüberhörbares, langes und grollendes Knurren ließ keinen Zweifel an Annas dringendstem Bedürfnis.
»Na, dann wollen wir mal sehen, dass du etwas zwischen die Zähne bekommst«, sagte Liese und zog Anna hinter sich her zu ihrem Ochsenkarren.
Dieser Karren war ein Gebilde wie aus einer fantastischen Sagenwelt. Von außen ein gewöhnlicher Planwagen, eröffnete sich von innen plötzlich ein Raum von
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