Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)
den besonders die Anwesenheit einer jungen Frau unter seinem Dach sehr erfreute. Anna verriegelte jeden Abend ihre Schlafkammer und schob sogar noch eine schwere Holztruhe vor die Türe, um den lästigen Verehrer von sich fernzuhalten. Dieser verlangte immer mal wieder Einlass und schlug in mancher Nacht sogar sein Lager vor Annas Kammer auf, sodass sie des Morgens über den schlafenden Zwerg hinwegsteigen musste. Tagsüber gab er sich meistens mit Glotzen zufrieden, wobei er mit Vorliebe auf Annas Busen starrte, indem er, wenn er mit ihr sprach, einfach auf das blickte, was sich in seiner Augenhöhe befand.
Anna vermied jede Situation, in der sie mit ihm hätte allein sein müssen. Zwar hielt sie ihn für harmlos, dennoch wollte sie keinen Unmut bei ihrer Bäuerin schüren, den es sicherlich gegeben hätte, falls sie deren Sohn ein paar Ohrfeigen verpasst hätte.
Doch abgesehen von diesen kleinen Lästigkeiten, fühlte Anna sich sehr wohl, und als schließlich der Winter kam und mit ihm eine gewisse Ruhe einkehrte, fand sie auch wieder Zeit, über sich und ihr Leben nachzudenken. Ihr Leben – das bedeutete ihre Zukunft. Und die wünschte sie sich hier an diesem Ort zu verbringen, jedoch nicht alleine.
Wann würde er kommen? Und wie wäre es, wenn er plötzlich vor ihr stünde? Immer wieder hatte Anna gehofft und auch gebangt, dass dieser Moment nahe sein könnte. Wie sollte sie sich dann verhalten? Was konnte sie von ihm erwarten?
Sie wusste es nicht. Lediglich in ihren Vorstellungen malte sie sich aus, wie sie unbefangen und kokett sein Interesse weckte. Wie sie sich beim Maifest von ihm zum Tanz auffordern ließ oder vortäuschte, sich beim Heumähen das Handgelenk ver-staucht zu haben, damit er sie verband.
In ihrer Fantasie war Anna eine erfolgreiche Verführungskünstlerin, aber vor der Wirklichkeit grauste es ihr fast. Was, wenn er sie gar nicht beachtete? Was, wenn sie sich alles nur einbildete?
Doch das war ihr gleich, solange sie noch träumen durfte.
Kalt wird es. Bitterkalt. Man kann nicht weiter hierbleiben. Muss sich einen Platz in der guten Stube suchen. Muss sich im Haus verkriechen. Ist zu kalt hier bei den Tieren.
Wird bei der Frau schlafen. Wird sie des Nachts beschützen. Wird sie retten, wenn der Zwerg kommt. Wird den Zwerg vielleicht verschwinden lassen müssen. Ist ein lästiger Zwerg. schrecklich lästiger Zwerg. Muss verschwinden. Darf die Frau nicht weiter Stören. sie hat Angst vor ihm. Sie soll keine Angst haben. Nicht vor dem Zwerg.
Sonst geht es ihr gut, der Frau. Fühlt sich wohl im Haus. Hat alles sauber gemacht. Ist nicht mehr so dünn. Isst gut, die Frau. Sieht jetzt viel schöner aus. Man erkennt sie kaum wieder, die Frau.
Jetzt wird man sich eine neue Schlafstelle suchen. Wird zu ihrer Kammer schleichen. Wird an ihrer Tür lauschen und hofen, dass sie endlich wieder singt. Dort wird man bleiben, die ganze Nacht. Und wenn der Zwerg stört, dann haut man ihm den Schädel ein. Haut ihm den dicken schädel ein und verscharrt ihn im Garten.
XXIII
Bist du eigentlich das stanzerl?«
»Nein, mein Name ist Anna, Anna Pippel. Ich bin nicht von hier. Komme aus dem Corveyer Land, das ist weit im Norden.«
»Ah, bei Freising?«
»Nein, bei Höxter.«
»Höxter? Kenn ich nicht. Na ja, ich dachte, du seist das Stanzerl. Denken viele hier im Dorf, traut sich nur keiner zu fragen, weil ja damals schon der alte Sepp ein Wiedergänger war. Und jetzt steht das Stanzerl plötzlich auch wieder von den Toten auf. Herrgott Maria, gut, dass dem nicht so ist.«
Die Magd bekreuzigte sich. Ihr Name war Rosi, und sie war eine der wenigen im Ort, die hin und wieder ein Wort mit Anna sprachen. Nie ging es um persönliche Dinge, mehr sprach man über das Wetter und welche Fortschritte die Arbeiten auf dem Hof machten.
Rosi lebte auf dem Hof eines der anderen Bauern im Ort, und dorthin war Anna an diesem Dezembermorgen gegangen, um ein Ferkel gegen Viehfutter einzutauschen. Immerhin hatten sie durch den Ausfall der Ernte in den letzten drei Jahren keinen Vorrat an Heu und schrot und mussten dieses also teuer hinzukaufen. Im nächsten Jahr würde sich das endlich ändern.
Nun war sie zusammen mit Rosi auf dem Rückweg. sie half Anna, den Handkarren zu ziehen, obwohl das nicht nötig gewesen wäre. Aber offenbar wollte sie unbedingt mit der neuen Magd der Gramshuber-Bäuerin schwatzen. Denn im Dorf wurde über Anna schon seit Langem getuschelt. Die einen behaupteten nämlich steif und fest, sie
Weitere Kostenlose Bücher