Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)
er sonst haben, einer einfachen Trossfrau wie Anna Pippel zu helfen und ihr sogar das Leben zu retten?
Anna war sich nicht sicher, ob sie sich geschmeichelt fühlen sollte oder ob sie nicht vielmehr enttäuscht war, dass er in ihr eine andere sah. Eine, wegen der er eine solch große schuld auf sich geladen hatte, dass er wahrscheinlich nun versuchte, alles bei ihr, der dahergelaufenen Anna Pippel, wiedergutzumachen. Je mehr sie darüber nachdachte, desto mehr ahnte sie, dass sie nichts von Andreas Moosberger zu erwarten hatte, nichts außer Mitleid. Das machte sie traurig.
Doch in ihrer Fantasie gelang es ihr schon bald, diese Enttäuschung zu überwinden, und so wurde der fesche Neffe der Gramshuberin schnell wieder zum Hauptdarsteller ihrer Tagträume und ihrer schlaflosen Nächte.
Trotz allem war es eine sehr schöne Zeit. Anna Pippel, Hans Mergel und der Junge Balthasar konnten alle drei behaupten, dass sie sich in ihrer neuen bayerischen Heimat sehr wohlfühlten. sie verrichteten tagtäglich eine schwere, aber früchtetragende Arbeit, hatten genügend zu essen, mussten im Winter nicht frieren und sich im Sommer nicht von Ungeziefer quälen lassen. Es gelang ihnen, aus dem jahrelang brachgelegenen Land wieder einigermaßen gute Erträge zu erwirtschaften, und auch unter ihrer Herrin hatten sie nur wenig zu leiden. Allein ihre Launen und ihr zuweilen lautes schimpforgan konnten so manchen Tag trüben, doch darüber ließ sich hinwegsehen.
Zwei merkwürdige Dinge geschahen allerdings im ersten Jahr ihres Aufenthaltes auf dem Gramshuber-Hof. Zum einen – es war im Januar des Jahres 1631 – verschwand der Zwerg Bartel urplötzlich spurlos. Wochenland durchstreifte Balthasar mit anderen Burschen aus dem Ort die Wälder, doch der Gramshuber-Sohn war nicht zu finden. Die alte Leni war untröstlich, sie konnte sich das Verschwinden nicht erklären. Freiwillig, da war sie sich sicher, würde ihr Sohn niemals auch nur das Dorf verlassen. Man hatte ihn ermordet, die Leute aus dem Dorf hatten ihn ermordet, von diesem Gedanken war sie nicht abzubringen. Fortan machte sie nicht einmal mehr einen Schritt aus der Stube heraus. Wie eine Statue saß sie auf ihrer Ofenbank und verbrachte sogar die Nächte dort.
Anna tat die Alte leid, aber andererseits war sie über das Verschwinden des lästigen Zwerges nicht traurig, hatte er sich doch noch in der Nacht zuvor heimlich in ihrer Kammer versteckt und sie dabei beobachtet, wie sie sich wusch. Anna hatte aufgeschrien und sich schrecklich geschämt, als sie, fast unbekleidet, in der Ecke hinter dem Bett plötzlich ein leises Stöhnen vernommen und den Bartel dabei ertappt hatte, wie er selbst für die Erleichterung seiner Triebe sorgte.
Mit dem Besen hatte sie ihn hinausgejagt, und er hatte ihr geschworen, seiner Mutter zu erzählen, dass Anna Geld und Schmuck und alles im Wald verstecke, so lange, bis sie genug zusammenhätte, um sich mir nichts, dir nichts aus dem staub zu machen. Natürlich stimmte das nicht. Doch was sollte Anna dagegen tun, dass sie so hinterhältig erpresst wurde?
Die ganze Nacht hatte sie darüber nachgedacht, wie sie den Bartel wieder besänftigen könne, hatte sogar versucht, sich an die widerwärtigsten Gedanken zu gewöhnen, nur um bleiben zu dürfen. Aber dann hatte sich am nächsten Morgen alles von allein erledigt. Wahrscheinlich, so hatte Anna zunächst gedacht, war der Bursche einfach gekränkt und würde schon bald wieder vor der Türe stehen.
Das zweite seltsame Ereignis jedoch ließ Anna vermuten, dass der Bartel nicht aus freien Stücken verschwunden war, sondern sehr wahrscheinlich für immer fort sein würde, ja, dass er mit großer Sicherheit sogar genauso tot war wie andere, die ihr, Anna Pippel, im Laufe der letzten zwei Jahre an Leib oder Leben gewollt hatten. Denn mit einem Mal tauchte Puck, der entlaufene Hund, wieder auf.
Mergel und Balthasar glaubten, dass das kluge Tier allein aufgrund seines Gespürs und seines guten Geruchssinns den weiten Weg vom fernen Ellwangen, wo er entlaufen war, bis hierher an den Ammersee gefunden hatte. Doch Anna zweifelte daran. Sie vermutete, dass Puck gebracht worden war, genauso wie er ihnen in der Nacht gebracht worden war, als sie das Rudel Wölfe überfallen hatte. Es konnte kein Zufall sein, dass dieser Hund, der schon bei ihrer toten schwester Mine gesessen hatte, ihnen aus freien stücken bis hierher folgte – so klug konnte kein Hund sein.
Und außerdem war Bartel verschwunden, der
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