Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)
ich euch nicht. Könnt hier schlafen und sehen, woher ihr was zu fressen bekommt. Werde mir das einen Monat lang ansehen, und wenn ich nicht mit euch zufrieden bin, dann scheuch ich euch wieder in das Loch zurück, aus dem ihr gekrochen seid. Der Krüppel muss aber auch arbeiten. Wie er das macht, soll seine Sorge sein. Aber faul rumliegen und Löcher in die Wand starren, das gibt es hier nicht.«
Anna schritt in die Stube zurück und nickte. Auch sie war damit einverstanden, zunächst einmal nicht länger als vier Wochen in dieser ungastlichen Bleibe bei dem garstigen Frauenzimmer und ihrem lüsternen Sohn zu bleiben. Vielleicht war es erträglich bei ihnen. Vielleicht – und damit rechnete sie eher – ließ es sich auch ganz und gar nicht aushalten. Immerhin waren sie frei, und eines hatten diese grausigen Zeiten für sich: Es gab immer eine Möglichkeit, den Ort, an dem man sich aufhielt, wieder zu verlassen und irgendwo anders, wenngleich mehr schlecht als recht, Unterschlupf zu finden.
Und so machten sich die drei Ankömmlinge noch am selben Tag an die Arbeit, um sich in dem verfallenen Haus einzurichten. Die Alte ließ ihnen freie Hand. Zwar schimpfte sie, weiterhin an ihrem Kamin sitzend, dass diese »Grattler« ihr ohnehin alles stehlen würden, doch andererseits ergab sie sich in ihr schicksal, indem sie, ebenfalls laut vor sich hinbrummelnd, sagte, dass es schlimmer nimmer kommen könne.
Bartel hingegen war froh, Gesellschaft zu haben. Er sprach zwar nur sehr wenig, doch wich er nicht von Annas Seite. Solange er sie nicht bei der Arbeit störte oder sie anderweitig belästigte, gelang es Anna, die Anwesenheit des Zwerges zu ertragen.
Sie begannen zunächst damit, drei Zimmer im ersten Stock, die in den letzten Jahren offensichtlich zu einem Taubenschlag verkommen waren, zu entrümpeln, zu putzen und sie mit Möbeln, von denen es in diesem ehemals reichen Hause genügend gab, zu bestücken. Noch am selben Abend hatten sie für jeden eine eigene Kammer hergerichtet, die zwar noch nicht so sauber war, wie Anna es sich gewünscht hätte, aber immerhin keinem Drecksloch mehr glich. Müde und vollkommen erschöpft sank sie auf ihr Lager und verbrachte die erste Nacht in ihrem neuen bayerischen Heim.
Endlich, da ist sie. Hat lang gedauert. Man dachte schon, sie kommt gar nicht mehr. Dachte, sie hat den Weg nicht gefunden. Dachte, sie ist tot.
Hat lange gedauert, bis die Frau hier war. Hat sehr lange gedauert. Man wartet schon fast zwei Monde hier auf sie. Hat lange gedauert, sehr lange.
Doch nun ist sie da. Man hat nicht umsonst warten müssen.
Kann sie noch eine Weile beobachten. Man hat nicht mehr viel Zeit mit ihr. Muss es endlich wagen, sich zu zeigen. Muss sie fragen, ob sie für einen singen mag.
Man muss sich beeilen, denn bald wird es so weit sein. Sie ahnt es noch nicht. Fühlt sich sicher.
Doch allzu viel Zeit ist nicht. Man muss es berichten. Muss berichten, dass sie da ist. Doch bis dahin kann man sie noch anschauen. Kann sie beschützen. Kann sie vor allem beschützen – nur davor nicht. Wenn es so weit ist, lässt sich daran nichts ändern.
Wie traurig.
XXII
Es begann eine Zeit des Räumens, Reparierens, Putzens, Flickens, Streichens und Waschens. Innerhalb von nur zwei Wochen hatten es die drei neuen Gesindekräfte der Leni Gramshuber fertiggebracht, den Wohnbereich des großen Hauses von innen auf Vordermann zu bringen. Und das ganz ohne Dazutun der Herrin und ihres Sprösslings.
Raum für Raum wurde zunächst leergeräumt, von Grund auf gereinigt und schließlich sogar frisch gekalkt. Hans Mergel entpuppte sich derweil als ein Meister der sitzenden Tätigkeit. Mit geübter Hand reparierte er Stühle, schliff alte Möbel ab, versah sie mit neuer Farbe und flickte zerschlagenes, aber noch zu rettendes Geschirr.
Danach kam die Außenseite des Gehöftes an die Reihe. Anna mähte das hüfthohe Gras und flickte den Zaun. Mergel überprüfte, von Balthasar in einem Handkarren geschoben, sämtliche Fenster und machte sich dann daran, die Fensterläden zu reparieren, nachdem der Junge sie allesamt abgeschraubt hatte. Balthasar verrichtete mit großem Fleiß und ungeheurem Geschick die schwierigsten und schwindelerregendsten Leistungen. Ja, er brachte es gar fertig, den alten Mann auf das Dach zu schleppen, wo dieser mit nur einem Bein saß und den Knaben beim Ausbessern der zahlreichen Löcher anwies. Dies war die liebste Aufgabe des alten Mergel, war er doch gelernter Zimmermann und
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