Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)
sei das Stanzerl. Andere wiederum konnten gar keine Ähnlichkeit feststellen, und wieder andere erinnerten sich nicht einmal mehr daran, wer das Stanzerl gewesen war, weil seit ihrem Tod schon so viele Jahre vergangen waren.
»Wer ist denn Stanzerl?«, wollte Anna wissen.
»Die Gramshuber Konstanze. Du weißt gar nichts von ihr?«
»Nein. Mir hat nie jemand von ihr erzählt.«
»Das war die Tochter der Gramshuberin. Sah genauso aus wie du. Ein wenig fülliger, aber das gleiche Gesicht. Die ist schon lange tot. Bestimmt zehn Jahre. Und weil doch der Alte, der Gramshuber Sepp, ein Wiedergänger war, haben jetzt die Leute im Dorf Angst, dass es mit dem Stanzerl genauso ist.«
»Sie denken, ich sei Konstanze Gramshuber und wäre von den Toten auferstanden?«
»Nicht alle denken das. Aber einige. Besonders im Wirtshaus wird viel darüber gesprochen. Du glaubst gar nicht, was für Gruselgeschichten die sich ausdenken.« Und Rosi kicherte wie eine Ziege.
Sie war nicht wirklich ein schönes Mädchen, ein wenig zu klein und gedrungen, dazu mit einer viel zu kurzen stirn und so dichten Augenbrauen, dass ihre hübschen braunen Augen gar nicht zur Geltung kamen. Aber dennoch schien sie fest an ihre Wirkung auf Männer zu glauben, sprach jeden an, der ihnen entgegenkam, und brachte es tatsächlich fertig, alle Vertreter des Mannsvolkes mit einem gekonnt fröhlichen spruch zum Lachen zu bringen.
Und wieder winkte sie einem jungen Burschen zu und rief ihm in tiefstem Bayerisch etwas zu, was Anna nicht verstand, worüber sich der junge Mann aber sehr zu freuen schien.
»Ja, die erfinden ordentliche Gruselgeschichten über dich und das Stanzerl. Ich selbst kenne die eigentlich nicht mehr. War damals noch ein Kind, aber was man sich von ihr erzählt, das weiß ich.«
»Und was erzählt man sich?«
»Das war wohl eine Fesche, die Gramshuber Konstanze. Hat vielen hier den Kopf verdreht. Wohl auch ihrem Vetter, obwohl der noch ein ganz junger Bursche war. Ob die alten Gramshubers das wohl nicht merkten oder es ihnen gleich war? Aber der Vetter stieg des Nachts häufig zum stanzerl. Jedes Jahr aufs Neue, immer wieder. Der kam nämlich jeden Sommer zum Arbeiten auf den Gramshuber-Hof, aus den Bergen kam der. Da geht es den Bauern nicht so gut wie hier, und darum schicken sie ihre Kinder im Sommer fort. Ein Maul weniger zu stopfen, und ein bissl was verdienen tun sie auch.
Das muss wohl einige Jahre gutgegangen sein mit der Liebschaft, doch dann, in einem Herbst, wurde das Stanzerl dicker. Die Gramshuber Leni hat das nicht sofort gesehen, eigentlich erst, als es schon zu spät war. Und trotzdem soll sie ihre Tochter an den Haaren zur Rössler Ruth gezogen haben. Das war die Engelmacherin.
Die wollte aber nichts mehr unternehmen, und dann hats die Leni wohl selbst in die Hand genommen, heißt es. Das ist aber nicht gutgegangen. Ein paar Tage später war das stanzerl tot, verblutet. Und die Mutter war die schuldige.«
»Und der Vetter?«, Anna ahnte, um wen es sich bei diesem jungen Burschen gehandelt haben musste.
»Der war schon fort, wieder in seinem Bergdorf. Vor ein paar Jahren ist er mal wieder hier gewesen, und da haben sie sich wohl vertragen, er und die Eltern vom stanzerl. Fesch ist er, der Bursche. Würde ich nicht Nein sagen.«
Anna wurde bei diesen Worten der unwissenden Magd ganz rot, und dann fragte sie – nur, um nicht schweigen zu müssen: »Hat man denn die Leni nicht dafür bestraft, was sie ihrer Tochter angetan hat?«
»Nein. Man hat einfach nicht mehr darüber gesprochen. Die Gramshubers haben erzählt, das stanzerl wäre an diesem schrecklichen Bauchziehen gestorben. Jeder wusste, dass das nicht so war, aber hier fragt keiner näher nach. Erst als der Sepp dann zum Wiedergänger wurde vor drei Jahren, erst da haben die Leute dann im Wirtshaus und vor der Kirche die wahre Geschichte vom stanzerl erzählt.«
»Ach so.«
sie waren angekommen, Anna lud zusammen mit Rosi die Säcke und das Heu in den Stall. Bartel beobachtete sie dabei. Er war der Einzige, dem Rosi kein Lächeln schenkte. Im Gegenteil, sie beeilte sich, wieder fortzukommen.
Anna war es recht. Während sie den Stall ausfegte, dachte sie über alles nach und begann die ganze Geschichte in ihrem Kopf zu sortieren. Anna erinnerte den Andreas Moosberger – jetzt kannte sie endlich seinen wahren Namen – also an dessen Base Konstanze, die seit vielen Jahren tot war. Er musste sie sehr geliebt haben, diese Konstanze, denn welchen Grund sollte
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