Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)
war, der den Stern gesehen hat?«
»Welchen Stern, Hans?«
»Der, mit dem alles anfing, vor elf Jahren, der blutrote Stern, das Zeichen Gottes, mit dem er uns vor dem schrecklichen Un heil warnen wollte.«
»Ja, ja, der Stern. Natürlich weiß ich, dass du ihn als Erster gesehen hast. Wer sonst, Hans? Wer sonst?«, antwortete Liese unter fortwährendem Bespucken und Reiben des stiefels.
»Damals war ich gerade auf der Wanderschaft. Bin eigentlich Handwerker, Zimmermann, so wie der heilige Josef es war und wie es auch unser lieber Herr Jesus von ihm gelernt hat. War also Zimmermann und auf Wanderschaft. Und wo führts mich wohl diese Wanderschaft hin? Na, was denkst du? Nach Böhmen führt sie mich. Und da, eines Nachts, es war auch im Frühjahr, da sehe ich ihn. Rot wie Ochsenblut und riesengroß zieht er seinen Bogen am klaren Sternenhimmel. Glaub mal, der Himmel war nicht mehr blauschwarz, nein, dunkelrot war er plötzlich, und ein Geräusch… Ich sage dir, als wenn einer hunderttausend Peitschen durch die Luft sausen lässt. Ohrenbetäubend, ohrenbetäubend, das sage ich dir. Ja, das war der Unheil verkündende Komet. Aufgesprungen bin ich von meinem Nachtlager. Aufgestanden bin ich und ins nächste Dorf gelaufen. Bin zur Kirche, den Turm hinauf und habe die Glocken geläutet. Erst dann sind die Leute wach geworden, haben sich alle auf der Straße versammelt und in den Himmel gestarrt. Die Frauen haben geweint und gebetet, auf ihre Art, versteht sich, sind nicht katholisch da unten. Die Kinder haben geschrien, und das Mannsvolk war ganz durcheinander. Keiner konnte sich das Zeichen erklären, noch nie war so was da gewesen. Doch alle wussten wir: Das verheißt nichts Gutes. Ja, und so kam es dann auch.
Nicht lange danach, und die Statthalter des Kaisers wurden in Prag von Aufständischen aus dem Fenster geworfen. Defenestrieren heißt das, ist ein vornehmes Wort, hab es in einer Flug-Schrift gelesen. Und weißt du, Anna, was den Defenestrierten passiert ist? Nichts, rein gar nichts! Ein Wunder! Dabei ist das ganz schön hoch, das Fenster, aus dem sie gestoßen wurden. Sanft auf dem Hosenboden sind sie gelandet und haben dann schnell das Weite gesucht. Und die Böhmen haben danach alles aus ihrem Land gejagt, was katholisch ist, und den Friedrich – den Pfälzer, den Calviner – zu ihrem König gemacht. Der soll übrigens eine sehr schöne Frau haben, der Friedrich, eine Engländerin. Weißt du das, Kaspar? Interessierst dich doch immers für schöne Frauen!«
Bei dem Angesprochenen handelte es sich um den Mageren, neben dem Anna Platz genommen hatte. Er hatte ebenfalls mit dem Würfelspielen aufgehört und war dazu übergegangen, sich stupide am Kopf zu kratzen, von welchem sein spärliches blondes Haar in langen, dünnen Strähnen herunterhing.
»Was?«
»Die schöne Engländerin, die Frau vom Pfälzer. Hast du schon von ihr gehört?«
»Was gehen mich solche Weiber an? Vor Augen will ich sie haben und anfassen. Hab nichts davon, wenn die irgendwo in einem Schlösschen sitzen und den ganzen Tag Kuchen essen.«
»Ja, der Kaspar ist kein Schwärmer. Der Christian von Braunschweig jedoch, der hat sehr für sie geschwärmt. ›Für Gott und für sie‹, soll er auf seine Fahnen geschrieben haben, so verliebt war er in die Edeldame. Hat ihm auch nichts genützt, liegt nun schon seit drei Jahren unter der Erde. Aber von dem hast du doch gehört, Anna, vom tollen Christian, dem Halberstädter? Der war doch viel unterwegs hier in der Gegend.«
»Ja, von ihm habe ich viel gehört. Aber gesehen habe ich ihn nie. Seine Soldaten waren oft bei uns im Dorf, und mein Mann, Friedrich, hat sich in sein Heer werben lassen.«
»Oh, dann hoffen wir mal, dass er so klug war, das Heer zu wechseln. Ist nämlich nicht mehr viel übrig von den Burschen. War selbst dabei, als sie so richtig eines auf die Rübe bekommen haben. Bei Stadtlohn war das, da ist nur jeder Vierte davongekommen. Die Krabaten haben fast alle totgeschlagen. Ja, das war ein blutiges Wüten, sage ich dir.
Aber davon später. Wollen ja nicht alles durcheinanderbringen. Wo war ich noch gleich stehengeblieben? Ach ja, beim Pfälzer, den die Böhmen zu ihrem König gemacht haben. Das gefiel dem Ferdinand, der damals frisch Kaiser geworden war, nun gar nicht. Denn der Kaiser ist ja nicht nur Kaiser, nein, er ist eigentlich auch König von Böhmen. Ist kompliziert, das Politische, aber so ist es nun mal. Ja, und nun haben die Böhmen einfach einen anderen
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