Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)
am Leben seid. Es ist schön, wenn es Euch aspectabilis gut ergangen ist, nach all diesen grausamen und ungerechten Vorgängen.«
Anna begrüßte ihn. Er hatte sich wirklich nicht verändert. Doch anders als früher, würde sie nun offen mit ihm reden, wäre nicht gehemmt, nicht eingeschüchtert von der Wirkung dieses Mannes. Denn sie, Anna Pippel, war seit ihrem letzten Zusammentreffen mit Georg Bracht nicht mehr dieselbe wie zuvor.
»Wie ich von Kaspar hörte«, so fragte sie unumwunden, »sind Liese und Therese gestorben, ohne dass das Morden danach aufhörte.«
Bracht schaute sie erstaunt an, dann antwortete er: »So ist es, und das hat mich nie verwundert. Euch etwa, Anna?«
Anna schüttelte den Kopf. »Hat es denn je aufgehört?«, wollte sie dann weiter wissen.
»Wenn ich mich recht entsinne, so hat es ruhige Zeiten gegeben, in denen, Gott sei’s gedankt, nichts Derartiges vorfiel. Doch einen tatsächlichen Exitus gab es nie. Erst proxime war wieder ein Opfer zu beklagen.« Bracht schaute nach diesen Worten mit leerem Blick an Anna vorbei.
Sollte sie ihm sagen, dass sie von dem Mörder verfolgt wurde? sie war sich nicht sicher, denn immerhin hatte er Liese und Therese nicht retten können, obwohl er von deren Unschuld überzeugt gewesen war. Und wenn nun sie, Anna, den Verdacht auf sich lenken würde, indem sie von all ihren mysteriösen Erfahrungen erzählte, könnte auch sie zu einem willkommenen sündenbock werden. Es sei denn, Bracht würde alles für sich behalten. Doch obwohl er Geistlicher war, traute Anna ihm hinsichtlich seiner Verschwiegenheit nicht.
Bracht hatte seine künstlerische Pause mittlerweile beendet und fragte Anna: »Nun, Anna Pippel, affektieret Ihr, wieder zum Heer zu stoßen? Jetzt, wo erwiesen ist, dass Eure Begleiterinnen zu Unrecht kondemniert wurden.«
»Nein«, antwortete sie kurz.
Wieder nickte er nur.
»Hat man denn gar keine Ahnung, wer dahinterstecken könnte?«, bohrte Anna weiter.
»Gewiss gibt es Ahnungen, Beschuldigungen, Rumores. Doch nichts, was sich jemals bestätigt hätte. Es ist eine gewisse Vor-sicht eingetreten, man will nicht noch einmal Unschuldige bestrafen. Außerdem, so muss ich zu meinem Leidwesen feststellen, resignieren die Menschen. Sie ergeben sich ihrem Fatum und glauben nicht mehr daran, etwas ändern zu können.«
»Was glaubt Ihr, wer oder was es ist?«
Bracht atmete tief ein, spitzte dabei die Lippen und ließ dann die Luft langsam und hörbar wieder hinaus. »Nicht der Teufel, Anna Pippel, nicht der Teufel.«
»Dann kann man ihn also finden«, stellte Anna fest.
»Sicherlich, wenn man ihn sucht, kann man ihn finden. Doch wo will man damit beginnen? Seit Jahren halte ich meine Augen auf, höre mich um, forsche nach. Sine Effectu. Rein gar nichts ist über diesen Menschen herauszubekommen. Ich kenne viele, aber ihn kenne ich nicht. Hätte ich ihn je zu Gesicht bekommen, ihm Aug in Aug gegenübergestanden, ich hätte ihn erkannt. Aber er scheint sich gut zu verstecken. Hier, unter uns.
Glaubt nur, Anna, auch mich lässt das mitunter desperieren. Fühle ich mich doch als Hirte, dem ein unsichtbarer Wolf ein Schäfchen nach dem anderen raubt. Und ich kann nichts daran ändern. Kann predigen, dass sie Sich in Acht nehmen, mehr nicht.
Vor nicht allzu langer Zeit erhielt ich einen Hinweis, es war ganz hier in der Nähe gewesen, da kam ein altes Kräuterweib zu mir und affimierte, sie habe ihn gesehen. Im Wald sei er ihr über den Weg gelaufen. Entstellt sei er gewesen, mit nur einem Auge, Zähnen wie spitze Nägel und von unmenschlich körperlicher Kraft. Bei sich habe er einen Hund gehabt und einen gro ßen Beutel, an dem er schwer zu tragen hatte.
Doch, gute Anna, wer mag solchen Imaginationes Glauben schenken?«
Bracht wusste also auch nicht mehr als sie, das schien sicher zu sein. Anna verzichtete darauf, weitere Floskeln mit ihm auszutauschen, verabschiedete sich höflich und gab ihm das Versprechen, noch einmal im Tross vorbeizuschauen, bevor das Heer die Gegend wieder verließe.
»Gebt auf Euch Acht, Anna Pippel«, rief er hinter ihr her, als sie weiterging, um Mergel zu suchen.
Diesen fand sie vor einem recht geräumigen und mit Fellen ausgestatteten Zelt sitzend – erzählenderweise, wie konnte es anders sein. In der Runde, in welcher er sich befand, saß, au ßer zwei Landsknechten und deren Mädchen, auch ein Greis in Mergels Alter, der aus nichts weiter als aus faltiger grüner Haut zu bestehen schien und an dem nicht ein
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