Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)
finden?
In Memmingen hatte es wieder begonnen, hatte der lange Kaspar gesagt. Memmingen – dort war das Heer, wenn sich Anna richtig erinnerte, zu der Zeit gewesen, als sie gerade in Bayern angekommen waren.
Ja, so lange hatte er eine Pause eingelegt. Oder aber er war woanders gewesen, hatte sich vom Tross verabschiedet, war vielleicht in ihrer Nähe gewesen. Hatte womöglich Anna auf ihrem Weg begleitet, ohne ihr etwas anzutun. Ja, vielleicht war er der Helfer, der ihr immer ungewünscht zur seite stand, wenn er dachte, dass sie ihn brauchte.
Doch warum schützte er sie und tötete andere? Welchen Grund konnte er haben? Oder war Anna vollkommen auf dem Holzweg? Irrte sie sich, indem sie annahm, eine Art Auserwählte zu sein? Eine, die – um es in der Soldatensprache zu sagen – gefroren war, eine, der ein solcher Teufel nichts anhaben konnte? Doch was machte sie dazu? Was verschaffte ihr diese stellung?
Nein, sie musste sich irren. Wahrscheinlich hatte er deshalb eine Zeitlang nicht gemordet, weil er froh war, dass der Verdacht auf andere gelenkt und diese auch dafür bestraft worden waren. Er hatte nicht mehr auffallen wollen und war dann doch wieder rückfällig geworden. Er konnte nicht anders, er war besessen. Das war die plausibelste Antwort. Doch viel weiter war Anna noch immer nicht.
XXVIII
Der lange Kaspar blieb vier Tage, und in diesen Tagen musste Anna einsehen, dass sich hinter dem vermeintlich stets lüsternen und groben Gesellen ein durchaus anständiger und gutmütiger Mensch verbarg.
Er baute dem alten Mergel Krücken, mit denen dieser schneller und leichter denn je laufen konnte, er besorgte – von wo auch immer – Getreide, Milch, ja sogar Obst und Fleisch, welches die drei sorgfältig konservierten und versteckten, um für weitere magere Zeiten gewappnet zu sein. Und was das Auffälligste an seinem Verhalten war: Er ließ Anna vollkommen in Frieden. Keine zweideutigen Bemerkungen, keine unangenehmen Berührungen, alles in allem ein angenehmer Zeitgenosse.
Am fünften Tag verabschiedete er sich schließlich und zog mit seinem Heer weiter in Richtung Elsass. Sicherlich hätte er sich gewünscht zu bleiben, aber trotz aller plötzlicher sympathie wäre das nicht nach Annas Wunsch gewesen. Freundlich, aber unmissverständlich ließ sie ihn wissen, dass er als Gast jederzeit wieder willkommen sei. Und so ging er.
Es war September, und nachdem die Soldaten Aldringens verschwunden waren, kehrte Ruhe ein. Auch Annas Nachfor-schungen lagen brach – keine weiteren Morde, keine neuen Informationen über den Schandtäter. Sosehr sie sich auch umhörte, alles war verhältnismäßig friedlich – zum Glück. Ihre Annahme, dass sich der Unhold im kaiserlichen Heer aufhielt und jetzt mit großer Wahrscheinlichkeit im Elsass sein Unwesen trieb, schien sich zu bestätigen, und nichts anderes hatte ja auch Kaspar gesagt.
Im November war die Ruhe schon wieder vorüber. Erneut kamen Kaiserliche in die Gegend. Mergel freute sich und machte sich sofort mit Balthasar auf den Weg nach Herrsching, wo die Truppen Quartier genommen hatten. Er hoffte, seinen Freund Kaspar wiederzusehen, und wenn nicht ihn, so doch wenigstens den einen oder anderen aus seinem alten Tross, mit dem er ein schwätzchen über vergangene Tage halten konnte.
Tatsächlich war der Alte erfolgreich, und es war für ihn ein schönes Erlebnis, alte Bekannte zu treffen, zumal ihm Kaspar die Angst genommen hatte, dass man ihm wegen der angeblichen Hexereien der Liese Kroll etwas nachtragen könnte.
Lieses Ruf war gänzlich rehabilitiert, und man schämte sich gar im Tross, dass dieser besonderen Frau eine solche Qual widerfahren war. Mergel, ihr treuer Begleiter, wurde deshalb mit offenen Armen empfangen und hielt sich zu Annas Verwunderung fast eine Woche in dem Lager auf, ohne nur ein einziges Mal im Dorf zu erscheinen. Lediglich Balthasar, der nur zu kurzen Abstechern in den Tross hinüberging und jeden Abend zu Anna zurückkam, berichtete ihr, dass es dem Alten gut ginge, ja dass es ihm sogar so gut ginge, dass er, Balthasar, fast schon befürchtete, der alte Mergel wolle wieder ins Kriegswesen einsteigen und mit dem Heer weiterziehen.
Anna hatte so etwas schon geahnt, und es war ihr nicht wohl bei diesem Gedanken. Nicht nur, dass sie dadurch ihren besten Freund verloren hätte. Nein, sie war auch davon überzeugt, dass der Krieg seit etwa einem Jahr eine neue Qualität angenommen hatte, dass es nicht mehr so einfach war, sich in
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