Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)
Verspechen geben, dass sie ihn in drei Tagen abholen und wieder nach Hause bringen dürfe.
Doch Anna kam nach ebendiesen drei Tagen nie im Tross an. Denn auf dem Weg dorthin ereignete sich Merkwürdiges.
Ein stein traf sie direkt im Rücken. Mit schmerzverzerrtem Gesicht drehte sie sich um und wollte den Rabauken ausschimpfen, der sich einen solch bösen Streich mit ihr erlaubte, als sie schon wieder getroffen wurde, diesmal in die Seite. Der nächste Stein schlug direkt unter ihrer Brust ein und raubte ihr einen Moment lang die Luft zum Atmen. Als sie sich wieder aufraffte, um das Weite zu suchen, wurde sie am Kopf verletzt. Ihr war schwindelig, und das Blut lief ihr in die Augen. Ein weiterer Schlag an den Kopf raubte ihr schließlich die Besinnung. Anna fiel um, und als sie wieder erwachte, fand sie sich im Hause der Gramshubers wieder. Sie lag auf ihrem Lager in einer der hintersten Ecken des Stalles – und in ihrer Hand hielt sie eine Sanduhr.
XXIX
Anna zählte.
sie hockte im Schneidersitz auf dem nasskalten Lehmboden des Gramshuber-Stalles und starrte auf die Sanduhr. Schon seit Stunden hielt sie das kleine Ding in ihren Händen und war mittlerweile beim dreihundertachtundzwanzigsten Durchlauf. Jedes Mal, wenn der Sand die untere Hälfte der Uhr gefüllt hatte, nannte Anna ein Zahl zwischen eins und hundert und drehte dann die Uhr um. Von ihrer linken Hand hielt sie Daumen, Zeige- und Mittelfinger gespreizt, sie zeigten ihr an, dass sie bereits die dreihundert überschritten hatte. Als der Sand erneut aus dem oberen Bereich der Uhr heruntergerieselt war, sagte Anna laut: »Achtundzwanzig« und drehte die Sanduhr wieder um – zum dreihundertneunundzwanzigsten Mal.
So ging es weiter, weiter und weiter. Ja, Anna musste ihre linke Hand viermal aufs Neue zum Zählen der Hunderter benutzen, denn sie kam an diesem Tag auf insgesamt zweitausendeinunddreißig Durchläufe.
Dann verließ sie die Geduld. Sie wollte nicht mehr warten, sie hatte Hunger und Durst, und außerdem musste sie sehr dringend den Abort aufsuchen.
Anna war wütend. Wieso ließ er so lange auf sich warten? Da schenkte er ihr nun schon zum zweiten Mal eine solche sanduhr und kam nicht.
Sie wollte ihm noch zwei Tage Zeit geben, und wenn er sich dann nicht blicken ließe, müsste eben sie weitersuchen.
Als Anna ihre eingeschlafenen Glieder nach draußen in den Hof bewegte, war es bereits stockfinster. Sicheren Schrittes, aber mit zitternder Hand griff sie unter den Lederriemen, den sie um ihre Taille geschnürt hatte und in dem sie nicht nur eine geladene Pistole, sondern auch einen Dolch und eine kleine Axt verborgen hielt. Kein leichtes Gepäck, das sie da nun zu dem Häuschen trug, welches als Einziges auf dem Hofe Gramshuber den Zugriffen zahlreicher Marodeure unterschiedlichster Herkunft getrotzt hatte: die Latrine.
Anna hatte eine kleine Laterne dabei und hielt sie in alle Richtungen, um sicherzugehen, dass sie auch tatsächlich alleine war. Mergel war noch immer im Tross und Balthasar offensichtlich ebenso. Der Einzige, der auf dem Hofe geblieben war und sie nun freudig begrüßte, war Puck, der Hund.
Anna streichelte den großen schwarzen Schatten und verschwand dann in dem winzigen Häuschen, um sich endlich zu erleichtern.
Puck bellte nicht. Stattdessen hörte Anna ein freudiges Fiepen und Winseln, das sie glauben ließ, Balthasar käme zurück. Doch weshalb sollte der Junge den Abort versperren, dachte Anna, als sie vernahm, wie von außen ein Holzstück durch die Öse in der Tür geschoben wurde. Dummerweise befand sich die Verriegelung außen, da Mergel die Luke verkehrt herum eingebaut hatte.
Anna richtete ihre Röcke und nahm die Pistole zur Hand. Dann blickte sie durch einen winzigen Spalt in der Tür. Doch sie konnte nichts sehen. Der Hund und der Mensch, den er offensichtlich freudig begrüßt und der dann die Latrine verriegelt hatte, mussten sich außerhalb ihrer Sichtweite befinden.
Dann, urplötzlich, begann der Hund doch zu bellen, laut und bedrohlich. So, wie Anna ihn nie zuvor hatte knurren hören. Er erschien nun im Blickfeld ihrer Holzspalte, und sie sah in der Dunkelheit, wie er entschlossen und wütend auf einen schatten zulief, der jedoch unbeirrt auf das Tier zusteuerte, einen Gegenstand in der Hand haltend.
Dann waren Hund und Schatten wieder außer Sichtweite. Schließlich ein Schuss. Dann ein Aufheulen. Verstummen. Der Hund war tot.
Ein Rascheln war zu hören. Da waren nun zwei. Oder etwa nicht? sie
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