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Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)

Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)

Titel: Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
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kämpften. Ein dumpfes Hauen und Reißen.
    Dann eine betont heisere, merklich verstellte Stimme, die schrie: »Verschwinde. Was tust du? Verschwinde.«
    Das Hauen und Reißen ging weiter.
    Dann ein plumpes Fallen und wieder die Stimme: »Was ist in dich gefahren? Warum greifst du mich an?«
    Wieder ein schlag, ein stöhnen. Dann Stille.
    Schließlich ein schleifen, ein Schleifen, das sich entfernte. Und dann wieder stille.
    Anna zählte. Die sanduhr hatte sie nicht dabei. Sie zählte auf ihre herkömmliche Art und Weise. Bis siebentausendachthundertfünfundsechzig.
    Endlich kam Balthasar. Wehklagend über den Tod seines geliebten Hundes, lief er über den Hof, bis Anna ihn rief und sich von ihm aus ihrer Gefangenschaft befreien ließ.
    Es war schon wieder geschehen. Sie war gerettet worden. Zwei Schatten waren dort gewesen. Oder etwa nur einer?
    Jedenfalls hatte Anna nur einen gesehen und auch nur einen gehört. Doch da hatten zwei miteinander gekämpft, das war sicher gewesen. Und den Schleif- und Blutspuren im Schnee nach zu urteilen, war einer von ihnen verletzt und von dem anderen davongezogen worden. Wohin, das konnte Anna nicht mehr ausmachen, denn die Spuren verloren sich wenige hundert schritte von ihrem Hof entfernt. Ein Hund hätte die Fährte sicherlich aufnehmen können, doch der Hund war tot, erschossen.
    Anna war ratlos.
    Wieder wartete sie zwei Tage, immer und immer wieder die sanduhr in Händen haltend. Doch nichts geschah. Er kam nicht wieder. War auch der Überbringer der Sanduhr letztendlich tot? Doch wer war es, der ihn umgebracht hatte?
    Die Kaiserlichen unter Aldringen blieben in der Gegend. Zusammen mit den Spaniern, denen es tatsächlich gelang, die Qualen der verbliebenen und abgestumpften Bevölkerung aufs Neue zu beleben, überwinterten sie im Seenland.
    Mergel war froh darüber, er siedelte quasi zum Tross über, und Anna bekam ihn nur noch selten zu Gesicht. Auch Balthasar suchte mehr und mehr die Nähe des Trosses. Er war mittlerweile ein junger Mann und genoss es, den Soldatenberuf zu erlernen. Es dauerte nicht lange, und er ließ sich anwerben, von den bayerischen Truppen des strahlenden Rheinländers Johann von Werth, eines erfolgreichen Emporkömmlings, dessen Karriere großen Eindruck auf den Jungen zu machen schien.
    Verzweifelt hatte Anna ihn gebeten zu bleiben. Anders als bei ihrem Mann Friedrich, den sie damals einfach hatte ziehen lassen, versuchte sie Balthasar mit allen Mitteln davon abzuhalten, in den Krieg zu gehen. Zuerst argumentierte sie, dann fing sie an zu drohen, schließlich sogar zu flehen – doch es half nichts. Der Junge, auf den sie so lange Acht gegeben hatte, der ihr so nah war wie ein eigenes Kind, ging und wurde söldner.
    Nun war sie also allein in dem zertrümmerten Haus und wartete noch immer. Hin und wieder hörte sie sich vorsichtig um, befragte Hans Mergel, wenn er sich von einem Freund nach Hause bringen ließ, um sich von Anna die Wäsche waschen zu lassen oder einfach nur ein paar Tage zu verschnaufen, weil es ihm im Tross zu kalt und zu anstrengend wurde. Der Alte sagte die Wahrheit, wenn er untypisch gereizt und wortkarg immerzu auf ihre Fragen antwortete, dass er von keinen weiteren Vorkommnissen der besonderen Art im Trosse gehört habe. Es habe sich nichts mehr zugetragen, und wenn dem doch so sei, dann habe man ihm nicht davon berichtet. Aber generell würde man sich dort über derlei Dinge ohnehin nicht mehr den Kopf zerbrechen, und das sei auch gut so. Mehr als immer und immer wiederholen könne er sich auch nicht, und Anna solle doch bitte ihre Fragerei einstellen und sich diesen Wurm, der sich in ihr Hirn gefressen habe, wieder herausreißen.
    »Das tut dir nicht gut, Anna. Es gibt Wichtigeres. Es ist Winter, und wir brauchen zu essen. Dafür zu sorgen, ist sinnvoller, als einem Geist hinterherzulaufen, den es eh nicht gibt.«
    Und dann verschwand der Alte wieder. Verschwand in seine imaginäre Welt, gesellte sich zu seinen Zuhörern, die seinen Geschichten lauschten, während sie berauscht waren von Mittelchen, die lange schon nichts mehr mit Alkohol zu tun hatten, sondern aus Kräutern und Essenzen bestanden, die Anna nicht kannte. Die Wirkung dieser Rauschmittel war fataler noch als die des Branntweins. Zwar machten sie die, die sie rauchten, aßen oder inhalierten, nicht aggressiv, aber dafür so gleichgültig und träge, dass die Süchtigen eher Gespenstern als Menschen glichen. Viele starben, weil sie vergaßen zu leben. Hans Mergel,

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