Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)
hatte es sich am Lagerfeuer auf einem Strohsack bequem gemacht, wenige schritte von ihr entfernt schlief in ihrem kleinen Zelt bereits die Lumpenliese, und etwas weiter entfernt hörte sie das regelmäßige Schnarchen des alten Mergel.
Trotz der schrecklichen Neuigkeiten, die sie an diesem Abend erfahren hatte, und trotz ihres erneut leeren Magens fühlte sie sich endlich wieder geborgen. Hier, inmitten so vieler Menschen, konnte ihr nichts zustoßen, das spürte sie. Auch wenn es im Heer von Strolchen, Schlitzohren und Strauchdieben nur so wimmelte, würde ihr schon niemand etwas tun, denn sie war nicht mehr allein.
»Bist du noch wach?«, hörte sie die zischende Stimme des seltsamen Mädchens, das die meiste Zeit des Abends ins Lagerfeuer gestarrt hatte.
»Ja«, antwortete Anna.
»Ich habe ihn gesehen.«
»Wen hast du gesehen?«
»Den Teufel, der all das anrichtet. Ich habe ihn gesehen.«
»Wann?«
»Weiß nicht genau. Ist schon eine Weile her. Viele Tage schon. Es war im Wald, auf dem Marsch. Hab da gewartet, war verabredet. Und dann hab ich ihn gesehen. Schrecklich, schrecklich, schrecklich …«, begann sie plötzlich schrill zu kreischen und hörte erst damit auf, als Anna sie unsanft an den Schultern packte. Das Mädchen blickte Anna aus dumm schielenden Augen unter zusammengewachsenen Brauen böse an.
»Du hast ihn wieder mitgebracht, das weiß ich. Er war fort, und jetzt ist er wieder da. Du bist schuld.«
»Woher willst du das wissen?«
»Ich weiß es, ich weiß es, ich weiß es«, schrie sie wieder.
»sei doch still, du weckst ja das ganze Lager auf.«
»Ich spüre es, wenn er da ist. Kann es spüren. Nur darf das niemand wissen, muss immer mein Geheimnis bleiben. Gerade war ich drüben hinter dem Busch, musste mal, und da habe ich ihn gehört. Seinen Atem habe ich gehört. so atmet nur er, das weiß ich genau. Er hockt dort drüben in dem kleinen Wäldchen. Geh hin, und du wirst die Nächste sein. Geh schon, geh schon, geh schon!«, hub sie wieder zu kreischen an und verfiel in ein hysterisches Lachen.
Anna betrachtete verängstigt und zugleich abgestoßen dieses jämmerliche Geschöpf, wie es so vor ihr hockte und seinen mageren Körper nach vorne und dann wieder nach hinten warf. Die schwarzen Haare waren vollkommen verfilzt, und der gro ße Mund so weit vor Lachen aufgerissen, dass Anna bis in den Rachen der Verrückten schauen konnte. Sie war wahrscheinlich erst siebzehn oder achtzehn Jahre alt, dennoch konnte Anna im Schein des verglimmenden Lagerfeuers nur noch einen dunklen Rest an Zähnen erkennen.
»Halt’s Maul, du dreckige Hure!«, schrie auf einmal eine stimme hinter ihnen. Anna drehte sich erschrocken um und erkannte die Umrisse des langen, dünnen Kaspar. »Komm lieber mit, will mich langsam auch mal aufs Ohr legen.« Und dann grinste er Anna an und fragte, während er sich ans Gemächt fasste: »Oder hast du vielleicht Lust, mir was Gutes zu tun, kleine Bäuerin?«
»Lass mich in Frieden«, sagte diese nur leise und wandte sich ab. Das Mädchen hingegen hatte sein Geschrei eingestellt und sich wieder auf die dünnen Beine begeben. Ohne ein Wort zu sagen, begleitete sie den Mann hinter den nächsten Wagen.
Obwohl sie sich die Ohren zuhielt, musste Anna eine – nicht allzu lange – Weile ihr lautes Stöhnen und Grunzen ertragen. Dann machte sich das ungewöhnliche Liebespaar, offensichtlich auf getrennten Wegen, davon, denn während das Kichern des Mädchens in Richtung des Lagerinneren langsam verschwand, ließ es sich der lange Kaspar nicht nehmen, noch einmal bei Anna vorbeizuschauen.
»Musst nicht schüchtern sein, kleine Bäuerin. Bin gut, hat sich noch keine beschwert. Ich komm morgen wieder, vielleicht hast du es dir dann anders überlegt.«
Er verschwand und lies Anna ängstlich an dem immer schwächer werdenden Feuer zurück. Mittlerweile fühlte sie sich nicht mehr sicher und geborgen. Leise betend, erwartete sie zitternd den Sonnenaufgang.
AlS Anna erwachte, herrSchte um Sie herum bereitS regeS Treiben. Man packte und rüStete Sich für den WeitermarSch. Sie musste gegen Morgen in einen unnatürlichen Schlaf gefallen sein, denn nun schmerzten all ihre Glieder, und ihr Kopf brummte unerträglich. Hinzu kamen ein fast schon krampfartiges Hungergefühl und ein widerlicher, pelziger Geschmack im Mund.
Mühsam setzte sie sich auf. Erst als sie sich die Haare richten und die Augen reiben wollte, bemerkte sie, dass sie etwas in den Händen hielt. Es war eine
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