Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)
Holzperlenkette mit einem kleinen, aus Knochen geschnitzten Kreuz als Anhänger.
»Mines Rosenkranz«, dachte Anna, immer noch vom Schlaf benebelt, bevor sie das Schmuckstück entsetzt aus den Händen gleiten ließ.
»Was ist denn mit dir los? Du schaust ja, als wäre dir heute Nacht der Teufel begegnet.« Liese begrüßte ihre neue Begleiterin derart frivol und unbekümmert, als habe sie den gesamten betrüblichen Inhalt des gestrigen Lagerfeuergespräches aus ihrem Gedächtnis gestrichen. Und so war es auch, denn die Marketenderin lebte strikt nach der Devise: Ganz gleich, was auch passierte, das Leben musste weitergehen. Nur wenn der Kopf frei war von trüben Gedanken, ließen sich gute Geschäfte machen. Und nur, wenn man gute Geschäfte machte, konnte man gescheit leben. Aus diesem Grund hatte sie im Laufe der Jahre die Kunst des Vergessens derartig vollendet, dass sie auf manchen mitunter seelenlos und kalt wirken konnte.
»Das hier gehört meiner Schwester.«
»Na und?«
»Sie hat sich ihren Rosenkranz immer ums Handgelenk gebunden. Hab ihn ihr nicht abgenommen, als sie tot war. Und jetzt ist er plötzlich hier. Irgendjemand muss ihn mir heute Nacht in die Hand gedrückt haben, als ich geschlafen habe.«
»Ach was! Zeig mal. Das ist doch ein ganz normaler Rosenkranz, davon gibt es Tausende. Kann dir in meinem Wagen ein ganzes Dutzend zeigen. Wobei das Stück schon besonders nett ist, muss ich zugeben. Weißt du was? Der lange Kaspar hat es dir sicherlich geschenkt, der hat doch ganz offensichtlich ein Auge auf dich geworfen. Will dich rumkriegen, der Lulatsch, das ist alles.«
»Meinst du?«
»So ist es. Wäre das der Rosenkranz deiner Schwester, dann würde doch sicherlich Blut daran kleben. Das saugt sich ganz gefährlich ins Holz und auch in den Faden, würde man nicht rausbekommen. Und, siehst du da Blut? Ich nicht. Wenn du das Ding nicht haben willst, ich hätte da schon Verwendung. Und jetzt steh auf! Hab dich genug geschont, bist hier nicht zum Vergnügen.«
Und nach einer dünnen Haferschleimsuppe, die ihr erstaunlich guttat, machte Anna sich an die Arbeit. sie half Liese beim Packen, und gemeinsam mit dem alten Mergel warteten sie schließlich darauf, dass sich der lange Wurm wieder in Bewegung setzte. Wohin es ging, das wusste Anna nicht, und es interessierte sie auch nicht sonderlich. Ob nach Norden, süden, Osten oder Westen – was kümmerte sie das? Ganz gleich, in welche Himmelsrichtung sie zogen, alles war neu für sie.
Tatsächlich machte sich der Truppenteil, zu dem Anna ge-stoßen war, auf, um dem General Wallenstein gegen Magdeburg behilflich zu sein. Trotz des angeblichen Friedensschlusses hatte er begonnen, die stadt zu belagern. Man marschierte also, die Weser überquerend, in Richtung Nordosten, das Ziel Halberstadt vor Augen. Dort sollte man auf das Quartier des großen Wallensteinschen Heeres stoßen, mit dem sich das Regiment verbinden wollte.
Sie legten nicht mehr als eine Meile pro Tag zurück, und dennoch war es sehr mühselig, denn zu jeder Nacht hieß es, ein Lager zu errichten und am frühen Morgen wieder abzubauen. Dazwischen mussten Nahrungsmittel und neue Waren besorgt werden. Es gab also eine Vielzahl an Dingen zu tun, und für Liese war es ein segen, Anna gefunden zu haben, denn sie verstand es, ihr schnell und gleichzeitig sorgfältig zur Hand zu gehen, indem sie Wäsche wusch, Waren sortierte und das Essen zubereitete.
So vergingen drei Tage, in denen Anna sich an das Lagerleben gewöhnen konnte. In diesen drei Tagen wurde sie – trotz seiner Ankündigung – weder vom langen Kaspar belästigt, noch geschahen andere Dinge und Seltsamkeiten, die sie an ihre Flucht oder an den Tod ihrer Schwester erinnert hätten.
Am vierten Tag – sie befanden sich gerade vor den Toren der Stadt Hameln – änderte sich dies.
Liese war gerade dabei, ihren Wagen herzurichten, denn das Heer bereitete sich auf eine längere Lagerzeit vor. Ein Bote Wallensteins hatte die Nachricht gebracht, dass es so aussah, als würde sich der Feldherr gütlich mit den Magdeburgern einigen und eine Verstärkung nicht unbedingt benötigen. Diese Nachricht hatte Liese gefreut, konnte sie nun doch in Ruhe ihre Geschäfte machen. Hans Mergel hingegen, der immer ein wenig weiter in die Zukunft zu schauen pflegte, stimmte es nachdenklich: »Der Wallenstein wird unser Heer bald auflösen«, sagte er, während er dem Ochsen einen Eimer Wasser hinstellte. »Das sage ich euch. Der ist jetzt Herzog von
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