Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)
das geht vielen Menschen so. Das ist der Beigeschmack des Krieges. Ein Heer ist wie ein ungeheuerlicher Heuschreckenschwarm, der dort, wo er entlangkommt, nichts als Ödnis und Verwüstung hinterlässt«, warf Hans Mergel ein, ein weiteres seiner zahlreichen Bilder aus dem Tierreich anbringend.
»Wer hat denn den Bauern aufgeknüpft? Hast du sie gesehen?«, wollte Liese wissen.
Sie kannte diejenigen im Heer genau, die immer und immer wieder derartige Dinge taten. In Dörfer einfallen, die Leute erschrecken und ihnen die eine oder andere Habseligkeit nehmen, das war in Ordnung, denn der Krieg musste sich halt selbst ernähren. Doch von den sinnlosen Gewaltakten, zu denen es ständig kam, hielt Liese nichts. Sie selbst borgte sich gern einmal das eine oder andere von den Bauersleuten aus, durch deren Dörfer sie zogen. So nannte sie es jedenfalls, wenn sie ihnen etwas nahm, obwohl es ihr natürlich nie einfiel, die Dinge wieder zurückzugeben. Doch quälen und töten musste man die armen Menschen nun wirklich nicht.
»Ich kann es nicht sagen, habe sie nicht gesehen. Es waren mehrere. Als sie ins Dorf kamen, hörte ich nur die Leute rufen, man solle alles verstecken. Ich habe nichts zu verstecken, also habe ich mich lieber selbst in Sicherheit gebracht.«
»Das war auch gut so.«
»Auf jeden Fall ist der Bauer tot, und auch seine Magd, die Katharina, scheint nicht mehr am Leben zu sein. Ich bin dann in den Wald gelaufen, hatte Angst und wollte meine Schwester suchen. Habe sie dann auch gefunden. Auch sie haben sie aufgeknüpft.«
»Ja, das kommt vor. Erst schänden und dann töten. Habe ich schon oft gesehen. In Hessen habe ich einmal beobachtet, wie zwei Männer eine Frau an den Haaren zu einer Viehtränke gezogen haben. Der eine hat ihren Kopf unter Wasser gedrückt, und der andere …«
»so genau wollen wir es nicht wissen, Kaspar, ich weiß, dass du unendlich viele solcher Schreckensepisoden erzählen kannst«, unterbrach Liese den seltsamen Mann. »Und dann bist du nicht mehr zurück ins Dorf?«
»Nein, ich wollte keine Menschenseele mehr sehen. Hatte schlimme Angst. Am Anfang war noch das Hündchen bei mir.«
»Was für ein Hündchen?«
»Meine Schwester muss wohl ein Hündchen mit in den Wald genommen haben. Unser Hofhund hatte erst vor zwei Wochen geworfen, und Mine liebte kleine Tiere so sehr. Es war an ihrem Fuß festgebunden, als ich sie fand.«
Anna hatte der Tatsache, dass sich bei ihrer toten Schwester ein Welpe befunden hatte, keine große Bedeutung beigemes-sen, doch nun blickte sie in sieben weit aufgerissene Augenpaare. Selbst das Mädchen, welches bisher nur in die Flammen gestarrt hatte, war plötzlich aus ihrem Zustand erwacht. Nun fixierte sie Anna, und aus ihrem offenen Mund kamen laute, tiefe Töne, die einem schrecklichen Wehklagen glichen. Alle anderen schwiegen entsetzt, und auch die sonst so spöttische und überlegene Liese schüttelte nur den Kopf.
Anna konnte sich dieses seltsame Verhalten beim besten Willen nicht erklären. Es schien ihr, als seien alle miteinander plötzlich wahnsinnig geworden, nur weil sie einen jungen Hund erwähnt hatte.
Hans Mergel war der Erste, der wieder zu sich fand.
»Dann ist er also wieder da.« Das war für seine Verhältnisse ein ausgesprochen kurzer satz.
»Verflixt noch mal. Das fehlt auch noch. Frag sie nach der Sanduhr, Hans«, meinte Liese ausgesprochen leise.
Der dicke Mann und die beiden jungen Soldaten standen derweil auf und gingen, ohne sich zu verabschieden, recht zügig fort.
Hans Mergel befolgte Lieses Aufforderung: »Hast du bei deiner Schwester auch eine Sanduhr gefunden, Anna?«
»Eine Sanduhr? Ja, sie hatte eine Sanduhr. Schon einen Tag vor ihrem Tod kam sie damit nach Hause. Ich konnte sie nicht fragen, woher sie sie hatte. Mine war ja stumm.«
Mergel und Liese wirkten still.
Dann wollte der lange Dünne wissen: »War ihr Hals durchtrennt?«
»Ja, das war er. Woher wisst ihr das alles? Und was besorgt euch so?«
»Weißt du, Anna, das war niemand anderes als der Teufel.« Es schien, dass Hans Mergel doch seine Sprache wiedergefunden hatte. »Das kann kein Mensch sein, denn es geht schon seit Jahren so, und immer ist es das Gleiche. Wenn ein Betrunkener ein Mädchen überfällt und tötet, dann handelt er mitunter grausamer, oh, davon kann ich dir ein Liedchen singen. Aber dieser hier, der hört nicht auf damit. Er verfolgt unser Heer, er pflastert unseren Weg seit Jahren mit den Leichen unzähliger Frauen. Am Anfang
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