Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)
bald weitergehen würde, mit dem Krieg natürlich. Hans Mergel nämlich war der festen Überzeugung, die Schweden würden in Kürze in das Geschehen eingreifen, da ihr König Gustav Adolf, ein überzeugter Protestant, die Pläne des Kaisers Ferdinand, ganz Deutschland wieder katholisch zu machen, nicht tolerieren werde. Natürlich habe der schwede, laut Mergel, auch andere, politische Gründe, doch die seien, wie immer, zu kompliziert, als dass man sie den einfachen Menschen deutlich machen könne. Und auch er, der große Erzähler, habe damit so seine Schwierigkeiten, obwohl er selbst natürlich alles begreife.
Anna hörte diesen allabendlichen Erzählungen zu und litt. Sie litt unter den Lebensbedingungen, die immer widriger wurden. Denn während sich die anderen nach elfjähriger Trosserfahrung an dieses Leben gewöhnt hatten und es selbst der hochschwangeren Therese nichts ausmachte, ihre Nächte unter feuchten Decken und in halbgefrorenem Matsch zu verbringen, so konnte Anna sich daran nur schwer gewöhnen. Auch die Märsche wurden immer anstrengender. Langsam schleppte man sich Schritt für Schritt durch dichten Nebel oder kalten Regen, der mitunter bereits in Schnee überging. Die Räder der Karren blieben immer wieder im schlamm stecken, und obwohl es erst Oktober war, so musste man bereits die Hände mit Tüchern umwickeln, damit sie nicht steif wurden und es unmöglich machten, die Handwägen zu ziehen.
Hinzu kam, dass der Vorrat langsam knapp wurde, denn das Heer trieb sich noch immer in einer vollkommen ausgelaugten Gegend herum, in deren Städte es nicht durfte und deren Dörfer bereits leergefressen waren. Man wartete auf einen Befehl Wallensteins, der sich weiterhin in Halberstadt bei Magdeburg aufhielt und, soweit man den Erzählungen des alten Mergel Glauben schenken durfte, langsam in arge Schwierigkeiten geriet, da ihm die Feinde in den eigenen katholischen Reihen nun, wo Frieden war und er nicht mehr gebraucht wurde, zunehmend zu schaffen machten.
Mergel glaubte: »Der Wallenstein wartet da oben auf den schweden, und uns lässt er hier in der Mitte versauern, weil er noch nicht ganz sicher ist, ob er uns in Nord- oder in süddeutschland brauchen wird. Denn im Süden, da sitzt sein eigentlicher Feind, der Bayer, neuerdings Kurfürst Maximilian. Und wenn der Schwede nicht bald angreift und dem Wallenstein neues Futter liefert, dann fordert der Bayer seinen Kopf.«
Davon war Mergel überzeugt, und so erklärte er sich auch das ungewisse schicksal des eigenen Heeres. Man wartete also, in ganz Deutschland wartete man. Und Anna fror und hungerte.
Mittlerweile hatte die Gruppe um Lumpenliese nahezu den gesamten essbaren Vorrat der Marketenderin verzehrt, es gab schon lange kein Mehl mehr, der Zwieback wurde langsam schwarz, und sein Aussehen erinnerte bei Weitem nicht mehr an das, was es einst gewesen war. Selbst die teuren Tartuffeln, eine Spezialität aus Übersee, von der Liese zwei Säcke von einem jüdischen Händler aus Holland erstanden hatte, waren fast aus, und der klägliche Rest war kaum noch genießbar, da er voller langer, grüner Keime oder dunkler Schimmelflecken war. Nicht zu sprechen von den Äpfeln, die mittlerweile so faulig waren, dass Liese nach dem Genuss eines daraus zubereiteten Muses zwei Tage lang immer wieder und unvermittelt einen Busch hatte aufsuchen müssen. Kurz, es gab nicht mehr viel – und hinzu kam, dass nichts hinzukam. Die Marketenderin Kroll wurde gemieden. Zunächst hatte sie geglaubt, es sich nur einzubilden, dass die Kundschaft ausblieb. Doch als dann die Kinder begannen, böse Lieder über sie zu singen und mit Kieseln nach ihr zu werfen, wusste sie, dass man es im Tross nicht gut mit ihr meinte.
Liese zog daraus aber nicht etwa die Konsequenz, das Weite zu suchen, um mit ihrem Wagen und ihren Leuten andere, sicherlich schwerere, aber sicherere Wege zu beschreiten. Nein, Liese blieb stur. Die, die sonst die Anpassung an neue Situationen als den einzigen Schlüssel zum Überleben predigte, war so sehr in ihrem Stolz gekränkt, dass sie sich nicht beugen wollte. Sie wollte diesen rufmordenden Feind besiegen und nur erhobenen Hauptes vom Felde ziehen, denn sie hatte sich nichts zuschulden kommen lassen.
Unterstützt wurde sie in dieser Situation außer von Mergel, Anna und Therese – die alle drei zu sehr von der Kraft ihrer Leitfrau abhingen – auch von Pastor Bracht, der mehrmals in der Woche erschien, um Liese gut zuzureden und ihr zu versprechen, dass
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