Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)
Turm, er hat sich im Turm versteckt. Ja, im Turm, im Turm.«
Weit nach Mitternacht verabschiedete sich der Pastor, nicht ohne noch einmal im freundlichsten Ton seine hilfreiche Unterstützung für den Fall einer etwaigen Rufmordaktion gegen Lumpenliese anzubieten, und als sich die Tür hinter ihm schloss, ließ sein süßes, aber schwer bekömmliches Auftreten bei allen – außer Therese – einen aschfahlen Geschmack zurück.
Sie hatten Angst. Liese und Mergel fürchteten den durchaus bedrohlichen Arm der Heeresjustiz und den mitunter noch un-sanfteren des Mobs. Und Anna fürchtete alles, vor allem den Pastor, dessen Anwesenheit alles andere als beruhigend auf sie wirkte. Therese hingegen fürchtete nichts. sie ärgerte sich lediglich, dass man ihr keinen Glauben schenkte.
Endlich Ruhe. Und warm ist es hier, warm. So warm, wie es draußen schon lang nicht mehr ist. Draußen friert man des Nachts, ja, dort ist es kalt geworden.
Hier ist es warm. So warm wie in Mamas dunklem Wagen. Da, wo sie einen versteckt hat. Wo einen niemand gesehen hat. Niemand, außer Mama. So warm war es in dem Wagen, warm und weich. Und Mama kam und hat gesungen. Hatte ein schönes Kleid an und hat gesungen. Sah aus wie eine Prinzessin, jeden Abend. Die liebe Mama. So lieb war sie, aber dann kam das große Feuer. Wäre er nicht gekommen und hätte einen gerettet, wäre man verbrannt, wäre verbrannt wie der Wagen, wie alle anderen Wagen. Verbrannt wie die ganzen Leute und wie Mama.
Jetzt will man aber nicht traurig sein, will jetzt einfach bleiben und warten, warten, bis wieder etwas geschieht. Ja, bald wird wieder etwas geschehen. Doch so lange kann man im Stroh liegen und warten. Ruhen und lauschen. Ruhen und lauschen.
Das Licht ist aus, alle schlafen, da kann man sich ein bisschen bewegen, kann sich umschauen, kann zu der Frau gehen, sie betrachten. Man kann sehen, wie sie daliegt und schläft, wie sie sich wälzt und etwas Schlimmes träumt. Man kann zu der Hexe gehen und sie betrachten, kann auch sie anschauen, kann sich ekeln vor ihrer Fratze, kann sie anspucken und sich schnell in der Dunkelheit verbergen, wenn sie aufwacht. Man kann auch zu der Kreischerin gehen, doch das lässt man lieber bleiben. Nein, das lässt man bleiben, die ist ein Geheimnis, ja, die ist ein großes Geheimnis.
Lieber schaut man die Frau an, schaut sie an und freut sich, dass sie so lieb ist. Doch lange wird man sie nicht mehr beschützen können. Wahrscheinlich nicht. Es kann passieren. Es kann jeden Tag passieren. Sie ist zu nah. Oft zu nah. Da kann es passieren. Und dann kann man nicht mehr helfen.
Jetzt schleicht man sich besser zurück, zurück ins Stroh, wo das Hündchen schläft. Das liebe, kleine Hündchen war so tapfer. Wollte nicht bei den Bauern bleiben, wollte zurück zu seiner Herrin. Soll zurück zu seiner Herrin, das kleine Hündchen. Bald wird sie es wieder in die Arme schließen. Bald. Noch nicht jetzt, noch nicht jetzt.
VIII
Langsam wurde es Herbst, die Bäume verloren ihre Blätter, die Tage wurden grauer und die Nächte kälter. Noch immer zog das geteilte Heer ziellos durchs Land, sein ehedem unendlich langer Rattenschwanz jedoch wurde immer kürzer.
Für Anna, die den Alltag einer fahrenden Trossfrau bisher nur von der angenehmsten, der warmen Sommerseite erlebt hatte, war es sehr schwierig, mit dem Herbstleben unter freiem Himmel zurechtzukommen. Auch in ihrer Bauernkate war es zugig und feucht gewesen, doch sie hatte immerhin einen Ort, an den sie sich bei Regengüssen und Herbststürmen zurückziehen konnte, ohne diesen Tücken des Wetters voll und ganz ausgesetzt zu sein. Hier im Tross war das anders. In der Regel suchte sich ein Regiment über den Winter ein Quartier, in welchem es, bei weiterer Besoldung, das Frühjahr und die Wiederaufnahme der Kampfhandlungen abwartete. In diesem Jahr war dem nicht so, und das aus einem einfachen Grund: Es war Frieden. Unter diesen Umständen war es für die Feldherren ein noch weitaus schwierigeres Unterfangen, eine Gegend ausfindig zu machen, die Tausende von Soldaten sowie deren Weiber und Bälger über den Winter brachte. Niemand – keine stadt, kein Kloster und kein schlossherr – war dazu bereit, und das führte im Falle dieses Heeres dazu, dass es sich immer weiter auflöste, indem sich einzelne Glieder verselbstständigten, um ihr schicksal allein in die Hand zu nehmen.
Liese und ihre Leute blieben jedoch dem verbleibenden Rumpf treu, unter anderem, weil sie hofften, dass es
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