Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)
lassen – aus Angst. So war es damals gewesen, als dieser stinkende, bullige Mensch sie geschändet und geschwängert hatte. Wie eine leblose Puppe hatte sie mit weit geöffneten Augen dagelegen und gezählt. Bis 87 war sie gekommen. Länger hatte es nicht gedauert.
Jetzt wäre das anders, jetzt würde sie sich das nicht so einfach gefallen lassen. Nichts würde sie sich so schnell wieder gefallen lassen, außer sie wollte es. Und da war sie sich noch nicht sicher, denn eigentlich – und für diesen Gedanken schämte sie sich – fand sie diesen Mann, der sie da durch den Wald zog, durchaus anziehend. Nie jedoch hätte sie es gewagt, sich ihm anzubieten, er war ein Edelmann und sie nur ein Trossweib, er war schön und sie nicht, und außerdem gehörte es sich nicht. Es gehörte sich einfach nicht, und deshalb würde sie, könnte sie es sich aussuchen, am liebsten davonrennen und ihn nie wiedersehen.
Anna war doch noch ein ängstliches Huhn. Ja, das war sie. Denn sonst wäre sie davongerannt. Sie wusste nicht, was es war, was sie verharren ließ: Neugierde oder fehlender Mut?
Offenbar besaß sie noch immer nicht die Kraft, sich gegen den Willen anderer aufzubäumen und sich ganz allein nur einem Willen zu unterwerfen, nämlich ihrem eigenen. Doch sie war auf dem besten Weg dahin, und ihr Lehrmeister war der Krieg, dieser üble Krieg, der alles durcheinanderbrachte, Menschen aus ihrem gewohnten Leben riss und sie nackt und einsam auf die Straße warf, wo sie sich auf nichts und niemanden mehr verlassen konnten, außer auf sich selbst.
Anna beschloss, sich in dieser situation erst einmal auf den Fremden zu verlassen. Sollte er sie doch hinter sich herziehen und einen Weg aus dem Wald finden. Alles Weitere würde sich schon ergeben. Sie wollte es abwarten.
Der fremde Edelmann hingegen ahnte nichts von den Gedanken der Frau, deren schweißnasse Fingerchen er immer wieder drückte, während er sie einem Licht entgegenführte, das er unweit zwischen den Ästen hindurch entdeckt hatte. Es war ein Haus, da war er sich sicher, und dort würde er nach Unterschlupf fragen. Seinen Beutel mit Münzen trug er noch in der Rocktasche, der war nicht abhandengekommen. Ein Nachtquartier würden sie also finden. Je näher sie dem Gebäude kamen, desto heller wurde sein Gemüt, und als er dann auch noch erkannte, dass es sich um ein Wirtshaus handelte, das dort auf einem Hügel unweit des Waldes lag, war er sichtlich zufrieden.
»schau an, eine Schenke. Der Herrgott meint es gut mit uns und errichtet gerade hier vor unseren Augen eine schenke. sei froh, dass ich Geld dabeihabe.«
Er fragte Anna nicht einmal, ob sie mitkommen wolle, war er es doch gewohnt, dass die Frauen nicht Nein sagten. Und die, das hatte er schon an ihren schwitzenden Händen bemerkt, die würde sicher nicht Nein sagen, auch wenn sie noch ein wenig schüchtern war.
›Die bekommt drei Schnäpschen, und dann ist der Bann gebrochen‹, dachte er bei sich, als sie in die kleine, nach tranigem Fett stinkende Gaststube eintraten. Der winzige Raum mit seiner niedrigen Decke war vollkommen ausgefüllt, an den Wänden verliefen alte Holzbänke, vor denen zwei morsche Tische mit schlecht gezimmerten Hockern standen. Die Tische waren voller Schmutz und Kerzenwachs, und darauf und darunter wimmelte es nur so von Schaben, die anscheinend keine Angst haben mussten, vom Wirt bekämpft zu werden. Dieser saß sichtlich betrunken zusammen mit zwei nicht weniger berauschten Männern beim Würfelspiel an einem der Tische. Alle drei lallten einander mürrisch an und verstummten, als sich die Tür öffnete und die beiden Gäste eintraten. Damit hatte der Wirt augenscheinlich nicht gerechnet, und er war es offensichtlich auch nicht gewohnt, Fremde zu empfangen, denn die Begrüßung fiel sehr frostig aus.
»Was wollt Ihr?«, murmelte er kaum verständlich und griff mit einer Hand an seinen Gürtel, in welchem er allem Anschein nach eine Waffe versteckt hielt.
»Keine Angst, Wirt. Wir wollen uns nur aufwärmen, einen Schnaps trinken und Euch um ein Nachtlager bitten.«
»Warm ist es hier,’nen Schnaps hab ich auch, aber ein Bett …? Kommt drauf an, was Ihr so fließen lasst, Fremder.«
»Nun, zwei Kreuzer für ein Zimmer.«
»Ha, dass ich nicht lache. Sieben, wenn du mit dem Weib da allein Spaß haben willst«, sprach er und brach über seine eigenen Worte in dröhnendes Gelächter aus, in welches seine Kumpane sofort mit einfielen. »Für fünf kriegst du’s, wenn meine
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