Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)
dessen Pferd schließlich von gewöhnlichen Spitzbuben erschossen wurde. Das war alles gewesen, und daraus ergab sich nun dieses seltsame Bild, welches offensichtlich bereits von sich reden gemacht hatte, denn bei den Menschen, die sich um diese Szene gruppiert hatten, handelte es sich um schlichte, einfache Bauern, ihre Frauen und Kinder.
Alle miteinander verstanden nicht, was sie dort sahen, und vermuteten deshalb Teufelswerk darin. Aus den Worten, die Anna aufschnappen konnte, erriet sie, dass man verwirrt war und verängstigt, dass man diese Begebenheit als ein böses Omen betrachtete und sich nicht sicher war, wie man nun mit diesen beiden leblosen Körpern verfahren sollte. Schließlich einigte man sich darauf, beide mit Steinen zu belasten und im sumpf zu versenken.
Anna bekreuzigte sich und sprach mehrere Gebete für das arme kleine Kind, das nun auf so unchristliche Art und Weise begraben werden sollte. Dann machte sie sich heimlich auf den Weg zu ihrem Heuschober.
Unterwegs musste sie viel über Liese nachdenken. Endlich verstand Anna, weshalb diese sich dagegen wehrte, dass man von den Morden als strafe Gottes oder streichen des Satans sprach. Liese war davon überzeugt, dass sich alles, was auf dieser Welt geschah, einfacher erklären ließ, als man gemeinhin dachte. »Ich habe schon zu viel erlebt, als dass mich noch irgendetwas entsetzen könnte. Der Mensch allein ist zu allem fähig«, das hatte Liese unlängst gesagt, als Mergel und Anna des Abends über die Frauenmorde gesprochen hatten.
In Anbetracht der Bauern, des toten Pferdes und des toten Kindes war Anna aufgegangen, wie gefährlich es war, so zu denken, wie Liese es tat. Denn – und da war sie sich sicher – wäre sie aus ihrem Gebüsch hervorgetreten und hätte gesagt: »Liebe Leute, es ist nicht so, wie ihr annehmt. Alles hat sich auf eine ganz natürliche Weise zugetragen. Der Zufall allein hat daraus ein solch seltsames Bild entstehen lassen« – dann wäre der Mob mit Heugabeln und Äxten auf sie losgegangen und hätte sie erschlagen.
Ob Liese hingegen auch geschwiegen hätte? Ob sie es zugelassen hätte, dass man an das kleine Hälschen steine band und das arme, unschuldige Wesen im Moor versenkte? Anna fühlte sich schlecht bei diesem Gedanken. Das erste Mal in ihrem Leben verspürte sie es als Schmach, feige zu sein und unangenehmen Dingen, ja der Wahrheit, aus dem Weg zu gehen. Deshalb beschloss sie, Liese nichts zu sagen.
»Eine angenehme Nacht gehabt?«, fragte Liese, als Anna wieder bei der Hütte auftauchte. Die Marketenderin war gerade dabei, die Sachen zu packen, um samt Mergel und Trese wieder zum Heer zu stoßen.
»Mag die Dame mitkommen, oder ist sie jetzt in die feinere Gesellschaft aufgestiegen? War übrigens gar kein Edelmann, dein Beschäler. War ein ganz gemeiner Verkleidungskünstler. Er hatte ein viel zu wettergegerbtes Gesicht für sein Alter, viel zu große, abgearbeitete Hände, und auch an der Sprache konnte man vernehmen, dass der ein ganz gewöhnlicher Bauernbur-sche war. Nichts als ein Bauer in feinem Zwirn. So ist das.«
Anna antwortete nicht auf diese spitzen Bemerkungen und half stattdessen mit, den Ochsenkarren und die Handwagen zu beladen.
»Hans, lass dir von Anna den Weg zu dem See zeigen, wo wir das Kind vergraben wollten. Die kleine Kreatur muss da noch irgendwo herumliegen.«
»Ich war schon dort, das Kind ist nicht mehr da. Jemand anders wird es vergraben haben«, log Anna. Auch um die arme Therese zu schützen, die das wahre schicksal ihres Säuglings nicht erfahren sollte.
»Na gut, dann lässt sich nichts machen«, sagte Liese kühl und arbeitete bis zur Abreise schweigend weiter. Lediglich Hans Mergel erhielt einige barsche Befehle von ihr.
Und so machten sie sich wieder auf den Weg. Nach nur zwei Tagen hatten sie die Reste des Heereswurmes eingeholt und hofften, sich wieder reibungslos einzugliedern. Hans Mergel glaubte nicht daran, dass man es ihnen erlauben würde, und auch Anna war skeptisch. Doch Liese bestand darauf, wieder dabei zu sein. Sie wollte sich von den Launen dieser Dummköpfe nicht das Geschäft verderben lassen. So schnell wurde man eine Liese Kroll nicht los, und deshalb fuhr sie erhobenen Hauptes in das Nachtlager des Trosses ein, der sich mittlerweile samt Heer bis ins Umland der stadt Bielefeld fortgefressen hatte.
IX
Liese Kroll, was fällt Euch ein, dem Heer so lange fernzubleiben? Ich sagte Euch bereits, wie viel Unmut sich hier in diesem Lager
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