Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)
alles werde sich zum Guten wenden. Aber die Macht, aus eigener Kraft unverrückbar erscheinende Tatsachen zu ändern, diese Macht hatte Anna nicht. Davon war sie überzeugt, denn anders hatte sie es nie gelernt.
Aber nun, hier auf dem Berg, zusammen mit dem gequälten Hans Mergel und dem schlafenden Jungen, merkte sie, dass sie handeln musste. Endlich handeln musste. Sie hatte einen gro ßen Fehler begangen, sie hatte ihr Gewissen auf ewig belastet, sie hatte nicht alles getan, um den Frauen zu helfen, ihnen beizustehen, ihnen ihren letzten Weg zu erleichtern, ihnen wenigstens das Gefühl zu geben, dass sie an sie dachte und alles daran-setzen würde, sie vor diesem schrecklichen Ende zu bewahren. Sie hätte ihren Wohltäter wenigstens bitten können, dass er seine Kontakte spielen ließ und für die beiden wenigstens einen milderen Tod ermöglichte. Doch sie hatte es nicht getan.
Wie ein dummes Huhn hatte sie sich von ihm von der Schlachtbank nehmen, sich in einen Käfig setzen und zu einem neuen Hof bringen lassen, wo sie nun unbekümmert ihr Gnadenbrot picken durfte. Nicht ahnend, welches Schicksal ihr erspart geblieben war, blöde weiterlebend, undankbar und gleichzeitig ohne schlechtes Gewissen ihren alten Wegbegleitern gegenüber, die bereits lange im Suppentopf gelandet waren.
Anna rang lange mit sich, doch dann entschied sie, allein ins Lager zurückzulaufen. Blind vor Entschlossenheit und in einem plötzlichen Anflug enormen Mutes wusste sie, dass sie sich jetzt aufmachen musste, um gutzumachen, was sie verpasst hatte zu tun. Ganz gleich, was es sie kosten würde.
»Ich gehe zurück, wartet hier. Der Junge soll dir deine Verbände wechseln. Ich bin am Abend wieder da.«
Ohne abzuwarten, was Mergel ihr antwortete, stürmte sie davon. Sie dachte an nichts anderes, als so schnell wie möglich das Lager zu erreichen. Sie machte sich keinen Plan, überlegte nicht, wo sie den vermeintlichen Ludwig von Brunnthal suchen sollte, dachte nicht einmal daran, sich zu verhüllen und unkenntlich zu machen. Sie rannte einfach, so schnell sie konnte.
Bereits nach wenigen Minuten war sie völlig außer Atem. Ihre Lungen schmerzten, und sie spuckte blutigen Schleim. Fast war sie so weit, ihr kühnes Vorhaben zu bereuen, doch dann lief sie weiter. Sie lief und lief, die kalte Luft durch ihre wunden Lungen pressend, und tatsächlich war sie bald am Rande des Lagers angekommen. Fast tot vor Erschöpfung, ließ sie sich am Wegesrand nieder. Es dauerte lange, bis sie wieder langsam atmen konnte, und jetzt erst begann sie zu überlegen, wie sie vorgehen sollte.
Sie musste ihn wahrscheinlich in dem Ort suchen, in dem sich die Offiziere niedergelassen hatten. Er war ein vornehmer Reiter und verkehrte mit Sicherheit in den oberen Rängen der Kompanie. Der Ort, wo die hohen Tiere residierten, lag unweit des Dorfes, in welchem sie verurteilt worden waren, und den Weg dorthin würde sie in jedem Fall finden. sie warf sich ihren Mantel über den Kopf, drückte ihr Kinn auf die Brust und hoffte, für eine bucklige Alte gehalten zu werden. Man würde sich nicht weiter an ihr stören.
Nach einer stunde hatte sie das Dorf erreicht, in welchem die provisorischen Kerker, der Gerichtssaal und die Folterkammer eingerichtet worden waren. Hier, das war augenscheinlich, würde in Kürze auf dem Dorfplatz die Hinrichtung stattfinden. Anna erschrak, als sie den Kopf hob und plötzlich vor zwei mit stroh und Brennholz umgebenen Holzsäulen stand. Man war bereits dabei, alles vorzubereiten.
schnell machte sie sich auf, in den Nachbarort zu eilen. Dieser war nicht weit entfernt und bestand aus vier großen Höfen und zahlreichen kleinen Bauernhäusern. Es musste einmal ein reiches Dorf gewesen sein, doch davon war nun nicht mehr viel zu sehen. Obwohl hier nur die hochrangigsten Vertreter des Heeres lagerten, wurde kein Wert darauf gelegt, für Ordnung zu sorgen. Selbst an diesem Ort lagen verwesende Tierkadaver in den Straßen, und es roch überall nach Fäulnis und Exkrementen.
Anna war ein wenig ratlos, wie sie die Suche nach dem Reiter beginnen sollte, dessen Namen, den er vor dem Profoss genannt hatte, sie in der Aufregung gar nicht erst im Gedächtnis behalten hatte. Sie wollte niemanden fragen, das war gefährlich. Immerhin war sie geächtet und würde ebenfalls mit dem Tode bestraft, wenn man sie hier wiedererkannte und erneut dem Gericht vorführte. Besser war es, sich einfach in ein jedes Haus zu schleichen, vielleicht lief ihr der
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