Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)
anbrach, machte man sich gemeinsam auf die Weiterreise, ohne über den vergangenen Tag zu sprechen. Das Leben musste weitergehen, und jeder versuchte mit seinem schmerz und seinem eigenen schlechten Gewissen alleine zurechtzukommen.
Anna betete immerzu heimlich für die beiden Frauen, und Hans Mergel ließ in seinen Erinnerungen die schönsten Momente, die er und die Lumpenliese in ihrer jahrelangen Freund-schaft miteinander geteilt hatten, wieder aufleben. Beide weinten mitunter leise und ohne, dass die anderen es bemerkten.
Ein großer Abschnitt im langen Leben des Hans Mergel war grausam zu Ende gegangen, und eine weitere Episode im Leben der Tagelöhnerin Anna Pippel war nun auch vorüber. Es hieß einen neuen Weg einzuschlagen und sich auf neue Hindernisse und Aufgaben vorzubereiten. Die starke Liese Kroll gab es nicht mehr, man war nun auf sich allein gestellt.
XIII
Anna musste sich, was die Orientierung betraf, voll und ganz auf Hans Mergel verlassen. Er war noch immer sehr schwach, konnte nicht laufen und litt an seinen brennenden und nicht heilen wollenden Wunden. Beide Beine waren noch immer dunkel verfärbt, aber Anna redete sich ein, dass das Schwarz mittlerweile zu einem Gemisch aus Violett und Grün übergegangen war. Sie sprach dem alten Mann gut zu, wenn sie ihn dreimal am Tag versorgte. Einzig die offenen Stellen am linken Bein wollten nicht zuheilen, Anna machte sich Vorwürfe, die geplatzten Quetschungen und Schnitte nicht genäht zu haben. Besser wäre das allemal gewesen, nun waren sie eitrig und schmerzten entsetzlich.
Doch der alte Hans war tapfer, denn er hatte, trotz der enormen Trauer, die er empfand, erstmals in seinem Leben eine Aufgabe, die tatsächlich seine große Erfahrung beanspruchte und ihm eine wichtige Rolle auf diesem gemeinsamen Weg zuwies. Er war der Lotse, denn er kannte sich aus.
Anna war sich nicht sicher, wie viele von seinen Schlachtenberichten tatsächlich der Wahrheit entsprachen, doch augenscheinlich musste er viel in Deutschland herumgekommen sein, denn mit geübtem Blick studierte er – auf dem Eselskarren sitzend, während Anna und der Junge nebenherliefen – die Karte, welche der Edelmann zurückgelassen hatte. Und immer wieder kamen ihm Erinnerungen, und er sprach von geografi-schen Besonderheiten oder städtebaulichen Details, die er sich nicht hätte just ausdenken können. Anna vertraute dem Alten immer mehr und hoffte, dass er sie leiten werde.
Man entfernte sich immer weiter von den Hügeln des Teutoburger Waldes und betrat die flache Ebene, die sie, südwärts marschierend, in die Stadt Paderborn bringen sollte. Es war trotz großer Kälte ein recht angenehmer, weil flacher Weg, obwohl dies natürlich den Wind noch eisiger in ihre Gesichter blasen ließ. Sie hofften, dass sie binnen einer Woche die große, reiche Handelsstadt erreichen würden. Dort, so riet Mergel, könne man eine Rast machen und seine Vorräte auffüllen. Wie dieses Auffüllen ohne Geld und ohne tauschbare Waren gelingen sollte, darüber zerbrach sich der Alte anscheinend nicht den Kopf. Anna jedoch machte sich so manche Gedanken, ohne eine Lösung zu finden, wie man auf legalem Wege an Proviant kommen könne. Sie beschloss, sich vor Ort zu entscheiden.
Die Jahreszeit brachte es mit sich, dass die drei des Nachts nicht mehr unter freiem Himmel schlafen konnten. Ihnen fehlte die Wärme eines einfachen Zeltes, so, wie sie es im Heereslager mit sich geführt hatten. Die ersten Nächte des Marsches suchten sie Unterschlupf in einsamen Scheunen oder in verlassenen, einzeln stehenden Gehöften, von denen es in dieser Gegend des Landes viele gab.
»Hier ist für ein Heer nun wirklich nichts mehr zu holen«, meinte Mergel, die Lage der Bauern kommentierend. »Tilly hat schon vor mehreren Monaten verboten, dass seine Truppen weiterhin Quartier in diesem Landstrich nehmen. Der alte Haudegen weiß, warum. Die Leute sind ausgezehrt, haben zwar nie eine schlacht gesehen, aber seit Jahren müssen sie die Völker ernähren, da würde ich auch das Weite suchen. Macht doch keine Freude, unter den Umständen immer wieder vergeblich seine Felder zu bestellen. Für nichts und wieder nichts. Den Wallenstein kümmert das nicht, Hauptsache, die soldaten fressen sich nicht durch seine eigenen Ländereien.«
»Du kennst dich gut aus, Hans, woher weißt du das alles?«, wollte Anna nicht ohne Grund wissen. Es war ihr wichtig herauszubekommen, ob der alte Geschichtenerzähler tatsächlich ein
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