Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)
Frau gab nicht auf, unerwartet flink kam sie hinterher und rief weiter: »Gebt mir doch. Nur einen winzigen Krumen, ich werde ihn nicht selber essen. Er ist für meinen Sohn. Das Bein haben sie ihm weggeschossen, und dann haben sie ihn einfach liegen lassen. Keinen Lohn hat er mehr bekommen. Ich habe ihn gefunden, musste ihn selbst versorgen, ihm das restliche Fleisch und die zertrümmerten Knochen abschneiden. Ich, seine Mutter. Oh, wie hat mir da das Herz geblutet.«
»So wie dir ergeht es vielen. Ist nun mal so im Krieg. Kann man nicht ändern. Bin nicht der barmherzige samariter.«
Anna wunderte sich über Mergels Härte. Mitleidig blickte sie das in geflickte Lumpen gehüllte Weib an, dessen Gesicht so schmutzig war, dass man lediglich das Weiße in den Augen blitzen sehen konnte. Annas Rührung blieb nicht unbemerkt.
»Gib doch du mir etwas, gute Frau. Nur eine Kleinigkeit. Nichts mehr als ein Stück Brot. Nichts mehr als das. Gib mir, sonst werden wir verhungern. Mein Sohn hat noch immer Fieber, und ich habe die Gicht. Durch alle Knochen zieht sie sich. Bei der Kälte bringt mir das den sicheren Tod. Aber das ist mir egal, eine Erlösung wird es sein. Doch für meinen Sohn muss gesorgt werden. Er ist ein armer Krüppel. Gib mir, gute Frau.«
Hans Mergel war derweil vom Wagen gesprungen und hatte sich, ebenfalls ungewöhnlich schnell, mit seinen Krücken zum Esel geschleppt. Diesen traktierte er nun mit einer der Krücken, damit das Tier schneller lief.
»Treib ihn an, Balthasar, treib das Mistviech an«, rief er dem Jungen zu, nachdem er gestolpert und auf den gefrorenen Boden gefallen war. Anna half ihm hoch, während der Eselskarren und der Junge davonfuhren. Auch die alte Frau war stehengeblieben, ohne jedoch mit ihrem Gejammer aufzuhören.
Anna griff in ihre Tasche und holte den Rest ihres Mittagessens, ein Stück Zwieback und wenig Käse, heraus. Das gab sie der Frau, welche mit einem missmutigen Brummen und ohne ein Wort des Dankes von dannen zog.
»Anna, du bist zu dumm für diesen Krieg!«, schimpfte plötzlich der sonst so gutmütige Mergel auf sie ein. »Die ganze Zeit erzähle ich dir von solchen, denen man im Gesicht ansieht, dass sie schwindler und Rabauken sind, und du fällst auch noch darauf herein. Die Alte war weder alt, noch war der Kerl ihr Sohn, und einbeinig war der erst recht nicht. Hättest mal richtig hinsehen müssen, dann wäre es dir aufgefallen. Die war höchstens dreißig, hast du nicht die gesunden Zähne und die kräftigen Arme gesehen? Und der Gauner, der hatte sein angeblich abgetrenntes Bein einfach nur hochgeschnallt. Konnte ich deutlich erkennen, so dick wie der Oberschenkel war. Das war dumm von dir, der was zu geben. Jetzt weiß sie, dass wir was haben. Mehr wollte die doch gar nicht in Erfahrung bringen. Nur gut, dass sie keinen näheren Blick auf den Wagen werfen konnte.
Hilf mir jetzt hoch, Anna. Wir müssen uns beeilen und sehen, dass wir hier wegkommen. Wird auch langsam lausig kalt. Brauche ein warmes Stübchen mit einem hübschen Feuerchen.«
Mergel wurde wieder ein wenig versöhnlicher. Anna hingegen sagte gar nichts. Vielleicht hatte er Recht gehabt, und die beiden waren tatsächlich ein Gaunerpärchen. Trotzdem hatte die Frau ihr leidgetan, und es war besser, einmal zu viel, als einmal zu wenig zu geben. So dachte sich Anna und lauschte weiter den Geschichten des Hans Mergel, die nun wieder einmal politisch wurden. Er begann nämlich, da sie sich der Grafschaft Hessen-Kassel näherten, von den Streitigkeiten und Machenschaften der Herren von Hessen zu erzählen. Anna interessierte es nicht. Dennoch hörte sie zu, um sich ein wenig abzulenken.
»Da gibt es zwei Linien in Hessen, eigentlich drei, aber die dritte ist ausgestorben, und deshalb streiten sich die beiden anderen. Ist ein bisschen kompliziert, aber ich mache es einfach für dich, Anna.
Also, wie gesagt, da gibt es Hessen-Kassel und Hessen-Darmstadt, und die beiden liegen im Bruderzwist miteinander, weil ein jeder von ihnen das erbenlos dastehende Hessen-Marburg haben wollte. Ist ja nichts Ungewöhnliches in einer Familie, da streitet man sich häufiger, vor allem, wenn es ums Teilen geht. Kennen wir alle, oder nicht? Nun, und was tut man, wenn man sich in den Haaren hat? Na, was machst du dann, Anna, wenn du einen so gar nicht leiden kannst?«
»Was soll ich da machen? Ich gehe ihm aus dem Weg, wünsche ihm nie einen guten Tag und spreche auch sonst kein Wort mit ihm.«
»Ach was. Was
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